Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
zwanzigmal gehört hatte. Und egal, was ich dazu sagte, ich konnte meine Mutter nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie zweifelte von jeher ständig die guten Eigenschaften und Absichten anderer an …
»Laura, ich hab Hans noch einmal über sein schlohweißes Haar gestreichelt. Meine Güte, er hatte noch so volles Haar! Und es war wunderschön und schlohweiß. Laura, schlohweiß!«
»Ja, Muddi, ich weiß.«
»Ja, und dann muss ich dir noch etwas erzählen. Du glaubst nicht, was Margot mit Hans gemacht hat! Gott, ich sage dir: Dein Vater und ich waren entsetzt! Vati hat noch im Auto den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er das einfach nicht verstehen kann!«
Was mochte Margot ihrem toten Ehemann angetan haben? Vielleicht hatte sie ihm mit der kurz vor seinem Tode gekauften Zahnseide die Zähne gereinigt? Oder hatte sie Hans die Gummistiefel wieder angezogen, sozusagen als späte Rache für seine Seitensprünge? In meiner wildesten Fantasie stellte ich mir vor, wie Margot ihre Schminkutensilien aus dem Bad holte und Hans mit ihrem Lippenstift, Farbnuance »Zarte Brombeere«, einen Kussmund malte. Auch aus Rache.
Ich hörte, wie mein Vater wieder das Wohnzimmer betrat.
»Himmel!«, sagte er. »Telefoniert ihr immer noch? Ich hab in der Zeit ein Blechschild aufgehängt und den Rasensprenger aufgestellt. Euch geht’s einfach zu gut.«
Also, ganz ehrlich, auch ich hätte in der Zeit, die Muddi mit ihrer Berichterstattung zubrachte, durchaus Sinnvolleres tun können – die Wäsche aufhängen, den Hund Gassi führen, den Keller saugen, die Ledergarnitur polieren oder verschiedene Schubladen aufräumen. Aber was sollte ich machen, wenn Muddi nicht mit der Sprache rausrückte? Außerdem wusste ich aus Erfahrung, dass sie den Bericht über dieses Ereignis irgendwann nachholen würde, wenn ich ihr hier und heute nicht die volle Aufmerksamkeit schenken würde, und zwar mit Gewissheit dann, wenn es noch unpassender wäre. Zum Beispiel kurz vor meinem Saunatermin. Oder beim wöchentlichen Einkauf, bei dem ich mich eigentlich auf meinen Einkaufszettel konzentrieren wollte. »Nie kann man mit dir in Ruhe reden! Immer bist du unterwegs«, hätte ich mir dann später wieder anhören müssen.
»Was hat Margot denn nun getan, Muddi?«, will ich nun endlich wissen.
»Du wirst es nicht glauben, Laura. Als wir in Hans’ Sterbezimmer kamen, haben wir Folgendes gesehen: Um seinen Kopf war ein breites Gummiband gewickelt. Weißt du, so eines, wie man sie in Schlüpfer einzieht. Um sein Kinn, um die Ohren und oben bis zum Scheitel. Und oben auf dem Kopf hatte Margot eine Schleife gebunden.«
Die Vorstellung war einfach nur abstrus.
»Warum hat sie das gemacht?«, frage ich.
Muddi seufzte. »Damit sein Kinn nicht runterklappt.«
Endlich verstand ich. Ja, es war seltsam, dass Margot so sehr darum bemüht war, ihrem Gatten auf dem Sterbebett ein optimales Aussehen zu verleihen, indem sie sein Kinn mit einem breiten Band fixierte. Und es war noch merkwürdiger, dass eine Ehefrau ihrem verstorbenen Mann die Gummistiefel auszieht, um dem Bestattungsunternehmen zu suggerieren, er sei in Straßenschuhen verstorben.
Dennoch war es vermutlich das Gummiband, das Margot und ihren Mann letztlich zusammenhielt. Jemanden zu heiraten bedeutet eben, sich für ihn mitverantwortlich zu fühlen und in seinem Sinne zu handeln.
Ich legte auf, setzte mich zu Laszlo auf die Couch und kuschelte mich an ihn. Uns hielt ein anderes Band zusammen.
»Wenn wir sterben«, sagte ich zu ihm, »dann wünsche ich mir eine komplette Auflösung unserer Körper, von mir aus kann uns auch irgendjemand in eine andere Welt beamen. Schwups und weg. Ich möchte nicht mit dir darüber reden, in welchem Sarg du beerdigt werden möchtest oder ob ich verbrannt werden soll. Ich wünsche mir, dass Außerirdische unsere Körper einsammeln und niemand, wirklich niemand, einen Bindfaden um unsere Kinnladen wickelt!«
Lazlo legte den Arm um mich und küsste mich auf die Schläfe.
»Du redest so komisches Zeug«, sagte er. »Hast du mit deiner Mutter telefoniert?«
41
»Schmeiß bloß die Wurst weg!«
M eine Mutter gehört einer Generation an, die niemals Essen wegwirft. Dennoch macht sie eine Ausnahme – bei abgepackter Wurst, die abgelaufen ist.
Ein Paket Scheibenwurst, das nur einen Tag über dem Verfallsdatum liegt, wird konsequent weggeworfen. Ansonsten ist Muddi nicht so genau mit der Vernichtung von Lebensmitteln, die schon etwas länger im heimischen Regal liegen.
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