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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Windmann
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die Versorgung an den Bahnhöfen so gut organisiert war, hätten wir noch Bettwäsche und Schmuck mitnehmen können. Und meine Käthe-Kruse-Puppen. Oder die Schildkröt-Puppen. Die wären heute sonst was wert!« Sie hält einen Moment inne. »Ich hatte so schöne Puppen, Laura, auch farbige.«
    Das hat Muddi mir bereits einige Male erzählt. Jedes Mal, wenn sie es erwähnt, hört es sich so an, als habe sie damals mit dem Besitz der farbigen Puppen Hitler den persönlichen Kampf gegen Rassismus angesagt … Ohne dass ich mich dagegen wehren könnte, erscheinen vor meinem inneren Auge Bilder dieser Tage: Klein-Muddi steht am Rande eines Nazi-Aufmarschs und reckt den Uniformierten zwei farbige Puppen entgegen.
    Ich lehne mich im Sessel zurück.
    »Und wenn sie Millionen wert wären«, sage ich, »du würdest sie ja doch nicht verkaufen. Weil du dich von nichts trennen kannst.«
    Muddi seufzt. Sie weiß selbst, dass es ihr schwerfällt, Sachen wegzugeben. Es ist ein Kriegstrauma. Alte Kleidung, verschlissene Sachen, unbrauchbare Geräte: Sie muss alles aufbewahren, ansammeln und für etwaige schlechte Zeiten horten. Etwas Neues kauft sie sich nur selten. Dafür benutzt sie aber gern alles, was wir uns neu kaufen.
    »Gibst du mir dein iPad?«, fragt sie unvermittelt. »Ich will mal bei eBay gucken, ob man so eine alte Käthe-Kruse-Puppe ersteigern kann.«
    Ich reiche es ihr widerstrebend. Seit wir das Ding haben, benutzt Muddi es öfter als ich.
    »Philipp wünscht sich jetzt auch eins«, erzähle ich, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Ich versteh die Jugend nicht mehr, Laura. Die sind total überflutet von Technik und moderner Kommunikation«, schimpft Muddi vor sich hin, während sie bereits mit Google Earth durch die Welt surft. Gerade zoomt sie auf ihr Haus. »Durch diese ganzen Geräte werden die Jugendlichen und Kinder immer irrer, Laura. Die sollten mal lieber nach draußen in die Natur gehen oder mehr Sport treiben.«
    Unterdessen ist sie zu Street View gewechselt und wandert virtuell durch ihre eigene Straße.
    »Na, der Baum links neben Familie Olschaks Haus steht doch gar nicht mehr. Kannst mal sehn, Laura, so frisch sind die Aufnahmen ja gar nicht. Das macht mich jetzt ganz meschugge, schließlich will man doch das Neueste sehen können, wenn man schon ins Internet geht.«
    Muddi trinkt einen Schluck Merlot – Rotwein macht sie noch redseliger und beinah philosophisch: »Moderne Kommunikation verleitet dazu, sich nicht mehr aufeinander einzulassen.«
    Aha. Nun ja, ihr selbst scheint es auch nicht besonders viel auszumachen, dass ich mich gar nicht mehr an der Unterhaltung beteilige.
    Plötzlich zuckt meine Mutter zusammen. »Laura!«, ruft sie, und ihre Stimme klingt vor Schreck ganz schrill. Sie wedelt so heftig mit dem Gerät herum, dass ich mich schon beim Reparaturservice sehe. »Was macht das Teufelsding?!«
    Ich nehme ihr das iPad ab, das mir auf dem Display mein eigenes Bild zeigt, weil die Kamerafunktion angegangen ist. Ich stelle die Funktion wieder aus und reiche ihr den Tablet-Computer zurück. Meine Mutter wehrt ab.
    »Scheiß was auf die moderne Technik!«, ruft sie. »Nee, nee. Das kannst du mal schön behalten. Das hätte es früher nicht gegeben!«



39
»Ich brauch doch kein Hörgerät!«
    M eine Mutter möchte nicht alt werden. Sie möchte aussehen wie mit Mitte vierzig, sehen und hören können wie eine Zwanzigjährige und Treppen hinaufhüpfen können wie ein Kind. In letzter Zeit lässt vor allem ihr Gehör sehr zu wünschen übrig, doch sie versucht diesen Umstand um jeden Preis zu vertuschen.
    An einem Donnerstagmorgen im Altweibersommer sind wir im Garten dabei, Laub zusammenzuharken.
    »Hallihallo, hörst du mich nicht?«, ruft Lorenzo über die Gartenhecke. Er hat sich wieder einmal auf den Gartentisch gestellt, na warte, wenn das seine Mutter sieht.
    Muddi nickt zu ihm herüber und winkt.
    »Ich versteh ihn manchmal gar nicht, Laura«, raunt sie mir dann zu. »Der Kleine nuschelt. Ich glaub, ich muss das Frau Sciutto mal sagen, schließlich wird er nächstes Jahr eingeschult. Nicht dass ihn seine Klassenkameraden noch hänseln!«
    Muddi harkt energisch einige Blätter auf dem Rasen zusammen.
    »Hallihallo, bringst du mir was vom Einkaufen mit?«, schallt es nun abermals über die Ligusterhecke.
    Als meine Mutter nicht reagiert, stupse ich sie an.
    »Muddi?«, sage ich. »Lorenzo hat dich was gefragt.«
    »Gott, Laura, wie soll man das auch hören bei dem

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