Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
angesehen, nicht weil er sich dafür verbogen hätte, um engagiert zu werden, sondern weil er zuverlässig war. Er hielt seine Versprechen und gab alles dafür, der jeweiligen Veranstaltung gerecht zu werden, auf der er auftrat.
All das schätzte auch Muddi an ihm. Die beiden hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Wenn mein Vater laut überlegte, wie es wäre, wenn er meine Mutter überleben würde, traten ihm Tränen in die Augen. Und auch meine Mutter weint heut noch oft, weil sie meinen Vater vermisst. Tagtäglich zündet sie eine Kerze vor seinem Foto an. Sie redet mit ihm, auch wenn er nicht mehr da ist. Sie fragt ihn, wie er in dieser oder jener Situation entscheiden würde. Und sie versucht, in seinem Sinne zu handeln.
Ganz anders erging es Margot, Muddis bester Freundin, in ihrer Ehe. Sie ist ein paar Jahre älter als meine Mutter und schon seit Jahren verwitwet. Margot und ihr Mann Hans führten allerdings eine weitaus weniger glückliche Ehe als meine Eltern, denn ihr Gatte war ihr permanent untreu.
Im Alter von fünfzig Jahren machte Margot noch ihren Führerschein, damit sie mobil war und Hans verfolgen konnte, wenn der wieder einmal ein Date hatte. Dennoch hielt sie zu ihm, jahrzehntelang, auch wenn sie nie so eng verbunden waren.
An dem Tag, als er starb, hatte Margots Mann gerade noch die Kanarienvögel gefüttert, legte sich aufs Sofa und nahm einen Hub seines Asthmasprays. Sein Asthma konnte ihn nicht davon abhalten, Tauben, Kanarienvögel und Nymphensittiche zu halten.
»Denk an die Zahnseide«, sagte er zu seiner Frau, die gerade aufbrach, um im Dorfladen einzukaufen.
Als sie wieder nach Hause kam, lag ihr Mann immer noch auf dem Sofa. Er hatte die Augen geschlossen, seine Hände auf dem Bauch gefaltet und trug ein Lächeln auf den Lippen. Und – er war tot.
Margot ließ sofort das Bestattungsunternehmen kommen, das ihr Mann bereits Jahre zuvor ausgewählt hatte, und erledigte alle Formalitäten. Der tote Gatte blieb noch zwei weitere Tage und Nächte zu Hause. Das war zuvor zwischen den Eheleuten abgesprochen worden, um Aufbahrungskosten zu sparen.
Am Tag nach Hans’ Tod rief Margot meine Eltern an und bat sie zu sich. Meine Mutter pflückte einige Tulpen im Garten und nahm den kleinen Strauß mit zu Margot.
»Gott, er sah aus, als würde er schlafen!«, erzählte Muddi mir später. »Er hatte ja auch noch seine Alltagskleidung an. Margot und Hans hatten schon Jahre zuvor besprochen, dass, egal, wer als Erster stirbt, er in der Kleidung bestattet wird, die er gerade getragen hat. Nur wenn einer von ihnen Gummistiefel anhätte, müsste der andere die gegen Straßenschuhe austauschen. Na ja, das hat Margot wohl auch gemacht. Hans hat bestimmt Gummistiefel getragen, es war ja nass an dem Tag, als er starb. Außerdem trug er seine Arbeitshose aus Cord und seinen grünen Wollpullover. So lag er nun da, Laura, in Cordhose und Wollpulli.«
Ich versuchte, das, was meine Mutter mir gerade erzählt hatte, zu verarbeiten. Üblich war eine solche Vorgehensweise nach dem Ableben des Ehepartners ja nicht gerade. Aber es bedeutete vermutlich auch, dass sich Hans und Margot doch näher waren, als ich gedacht hatte. Oder schweißt der Tod einen auch zusammen?
Am anderen Ende der Leitung hörte ich, wie meine Mutter in ihrer Kaffeetasse herumrührte und anschließend den Kaffeelöffel auf der Untertasse ablegte.
Aus dem Hintergrund ertönte leise die Stimme meines Vaters: »Nun erzähl Laura doch nicht alles haarklein. Das wird sie gar nicht so sehr interessieren.«
»Doch, selbstverständlich interessiert sie das«, widersprach meine Mutter. »Sie kennt ihn doch auch schon so lange!«
Mein Vater stöhnte auf. »Wie du meinst. Du lässt dich ja sowieso nicht davon abhalten. Ich geh in den Garten.«
Ich hörte die Tür hinter ihm zuklappen, dann räusperte sich Muddi.
»Ich hab Hans den Tulpenstrauß zwischen die Hände gesteckt«, fuhr sie fort. »Dafür musste ich die Finger, die ja schon ein wenig steif waren, auseinanderdrücken. Das hab ich damals bei Oma auch gemacht. Gott nee … ich hab Oma zwei Bilder zwischen die Finger gesteckt, auf den Fotos waren wir alle drauf … alle, die sie so geliebt hatte. Und den Rubinring hab ich ihr aufgesteckt, den sie von mir und Mutti geschenkt bekommen hatte und den sie so liebte. Ach Gott, Laura, wie doof war ich bloß? Den haben die Bestatter doch bestimmt geklaut!«
Ich antwortete lediglich mit einem »Mhm«, weil ich diese Vermutung mindestens schon
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