Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
auf einem großen Holzbrett auf dem Küchentisch.
»Solche Klappstullen haben wir in Altdamm auch immer auf Reisen mitgenommen«, pflegte Muddi stets mit leuchtenden Augen zu sagen, während sie die Eier briet.
Altdamm ist ein angrenzendes Dorf zu Stettin in Pommern. Unsere gesamte pommersche Familie pflegte vor Reisen Spiegeleier zu braten, um sie dann in eine Stulle zu drücken, während die zuvor draufgestrichene weiche Butter am Rand des Brotes herausquoll.
Muddi packte für die Harzreise sämtliche Brote, Tüten mit Naschkram, einige Flaschen mit selbst gemachter Limo und eine Thermoskanne mit gesüßtem Schwarztee in den Picknickkorb. Diesen Korb besitzt sie natürlich heute noch.
In eine Stofftasche steckte sie mindestens drei Küchentücher, meist blau kariert, und eine Packung Papierservietten mit einem zur Jahreszeit passenden Muster. Im Sommer waren es meist Sonnenblumen oder Früchte, im Herbst buntes Laub oder Kürbisse.
Bis auf die ungeliebte feine Kleidung habe ich unsere Ausflüge als schön in Erinnerung. Aber wie sollte ich meinem Sohn heutzutage noch den Harz schmackhaft machen? Da war er schon mal. Fünf Tage lang, mit der neunten Klasse. Und da es im Schullandheim keinen Internetanschluss gab und er sein Handy nicht mitnehmen durfte, fand er den Harz sterbenslangweilig. Zumal es in Wernigerode weder einen spannenden Elektromarkt noch ein nennenswertes Großraumkino gibt. Und schon gar keinen technischen Firlefanz aus Japan wie Purikura-Fotogeräte, die es Jugendlichen ermöglichen, ihre gerade entstandenen Fotos mit allen möglichen Formen, Farben und Mustern verzieren können.
Nee, der Harz ist nun wirklich nichts für männliche Heranwachsende mit einem ausgeprägten Japantick. Außerdem liebe ich meinen Sohn so sehr, dass ich ihm seine Reise nicht verderben will. Aber wie soll ich das Muddi klarmachen?
Ich weiß schließlich, dass ihr der Gedanke, ihren Enkelsohn in einem fremden Land zu wissen, Angst macht. Darum tätschele ich beruhigend ihre Hand.
»Ist schon gut, Muddi«, sage ich. »Er kommt ja wieder zurück.«
Dabei muss ich mir zum ersten Mal eingestehen, dass es mir auch nicht so leichtfällt, Philipp gehen zu lassen. Wenn ich daran denke, dass mein Sohn, mein Baby, bald so weit weg ist, wird mir ganz flau im Magen. Natürlich ist Philipp auf dem besten Weg, ein junger Mann zu werden. Aber wer tätschelt meine Hand, wenn ich am Flughafen stehe und den Flieger zwischen den Wolken verschwinden sehe?
Na ja, vielleicht hat Lazlo ja schon einen romantischen Urlaub im Harz geplant und für den Weg einige Spiegelei-Stullen gemacht. Das wird mich dann über alles hinwegtrösten.
38
»Früher waren wir froh über ein Ei. Heute über ein iPad.«
M eine Mutter schwärmt gern von der Vergangenheit, in der es noch kein fließend Wasser, aber Betten aus Stroh und Pferdefuhrwerke gab. Gleichwohl genießt sie es, ihren Wasserhahn in der Küche einfach aufzudrehen, auf die Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze niedersinken zu können und sich von mir mit dem Auto durch die Gegend fahren zu lassen.
Gerne preist Muddi also den schlichten Lebensstil, während sie gleichzeitig mit den Errungenschaften der modernen Technik hantiert. So wie neulich, als wir bei ihr in der Küche saßen.
»Die Jugend von heute weiß die einfachen Dinge nicht mehr zu schätzen«, sagt Muddi und wechselt per Fernbedienung den Radiosender. »Früher waren wir froh über eine Butterstulle und einen heilen Kopfkissenbezug.«
»Ehm, wann war das, Muddi?«, frage ich.
Meine Mutter führt die Tasse Kaffee zum Mund, setzt sie aber wieder ab, weil es ihr einfällt. »1950.«
»Muddi, 1950 war der Krieg erst fünf Jahre her«, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Ihr wart vorher Flüchtlinge. Alles, was ihr 1945 mitnehmen konntet, waren geschmierte Brote und das Silberbesteck von Omi.«
Meine Mutter richtet sich auf und schaut mich aus großen Augen an, so als würde ich endlich verstehen, wovon sie schon jahrelang redet.
»Ja, genau«, meint sie. »Und die Brote hätten wir uns sparen können, weil an jedem Bahnhof …«
»… das Rote Kreuz stand und Brote und Suppe verteilt hat. Ich weiß«, führe ich den schon tausendmal gehörten Satz zu Ende.
Muddis Wangen bekommen angesichts der lebhaften Erinnerungen eine gesunde Färbung. Sie lehnt sich über den Tisch, und ich weiß, was jetzt kommt.
»Ja«, antwortet sie und tippt mit der Fingerspitze auf den Tisch, »und hätten wir vorher gewusst, dass
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