Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
gekommen. Wenn es wieder mal Streit gegeben hatte, hatte sich die Mutter bei ihr ausgeheult. Selbst als Resa erwachsen war, erwartete ihre Mutter, dass sie ständig zur Verfügung stand, um sie zu beraten und zu unterstützen. Als Resa ihre Kanzlei in einer anderen Stadt eröffnet hatte, war die Mutter nur ein halbes Jahr später in ihre Nähe gezogen.
»Ich schaffe das einfach nicht mehr, immer für sie da zu sein«, sagte Resa verzweifelt.
»Müssen Sie das denn?«, fragte ich. »Warum wollen Sie immer die Ansprüche anderer Leute erfüllen? Was wollen Sie selbst?«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht – und es hat mich auch noch nie jemand danach gefragt«, erkannte sie erstaunt. Und sie entschloss sich, als Fokus für ihre Therapie folgenden Vorsatz zu wählen: »Von jetzt an lasse ich mich nicht mehr vereinnahmen. Ich werde egoistisch!«
In den folgenden Wochen und Monaten arbeitete sie daran, sich bei Entscheidungen zu fragen: »Was tut mir gut?« Immer öfter gelang es ihr, die Manipulationen ihrer Mutter und anderer Leute abzuwehren. Da flaute allmählich ihre Panik ab. Immer seltener kamen die Attacken, und Resa konnte wieder voll arbeiten.
Egoismus ist etwas Gesundes. Ein Egoist schaut immer zuerst auf sich: »Wie fühle ich mich? Was will ich?« Vielleicht hat eine Mutter Lust, den Sonntagnachmittag gemeinsam mit ihrem Kind zu Hause zu verbringen. Wenn sie dieses Gefühl offen und unverkrampft wahrnehmen kann, ist das schon die halbe Miete. Hört sich leicht an, ist aber für viele Menschen geradezu unmöglich. Ihre ureigenen Gefühle sind überlagert von 1000 Schichten Müll: Was ist meiner Meinung nach gut für den anderen; was meinen die Nachbarn; was hätte meine Mutter gemacht und so weiter. »Meine Tochter hat Nachholbedarf in Latein. Besser, wenn sie heute zu Hause bleibt und übt«, heißt es dann. Wäre es nicht viel besser, wenn die Mutter sagen könnte: »Schatz, ich hätte heute Lust darauf, mit dir einen gemütlichen Nachmittag zu machen. Was hältst du davon, wenn wir mal wieder gemeinsam eine DVD anschauen?«
Wer wirklich weiß, was er selber will, muss nur noch nach den Bedürfnissen des anderen fragen: »Dies möchte ich, was willst du?« Dann kann eine Lösung gefunden werden, die für beide gut ist. Gemeinsam ins Kino gehen oder zuerst gemeinsam kochen, und dann geht das Kind allein zu Freunden – alles ist möglich. Eine gesunde, egoistische Mutter fühlt sich wohl und das Kind auch.
Muttis sind dagegen gnadenlos egozentrisch. Das ist etwas ganz anderes als egoistisch. Egozentrisch heißt: um sich selbst kreisend und beschreibt eine Haltung wie von Kleinkindern, die noch kein Bewusstsein dafür haben, dass es außer ihnen noch andere Personen mit Bedürfnissen auf der Welt gibt. Bei Erwachsenen ist Egozentrik ungesund – für alle Beteiligten.
Und der viel besungene Altruismus der Mütter? Wer altruistisch handelt, will nur Gutes für den anderen, heißt es. Deshalb ist Altruismus in unserer Gesellschaft positiv besetzt. Kaum einer zweifelt daran, dass er viel besser ist als Egoismus. Doch was steckt hinter der Selbstaufopferung?
In der Psychologie ist ein Verhalten namens Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom bekannt: Es handelt sich hierbei um das Erfinden, Übersteigern oder sogar Verursachen von Krankheiten oder deren Symptomen. Opfer dieses Verhaltens sind meist Kinder. Der Frankfurter Professor für Pädiatrie Gert Jacobi weiß, dass es in den meisten Fällen Mütter sind, die ihre eigenen Kinder aus egozentrischen Motiven krank machen. Sie ziehen sie zum Beispiel bei kaltem Wetter zu dünn an oder verabreichen ihnen sogar schädliche Medikamente, um in den Genuss der vollen Aufmerksamkeit zu kommen, wenn sie ihre Schützlinge dann zum Arzt bringen.
Das sind natürlich Extremfälle. Doch im Grunde handelt es sich bei dem demonstrativen Altruismus der Muttis um dieselbe Qualität von Ausbeutung, nur eben subtiler und quantitativ herunterskaliert. Muttis kümmern sich um andere, um das eigene Image zu verbessern – vor sich selbst und vor den Nachbarn und Kollegen und vor höheren Mächten. Fatal ist, dass diese Art der Nächstenliebe die Selbstliebe im Bewusstsein unterdrückt. Altruismus bedeutet, dass man im bewussten Denken und Fühlen den anderen an die erste Stelle setzt und seine eigenen Gefühle und Interessen verleugnet. Nur in einem ausgewogenen Kompromiss zwischen sich selbst und dem Nächsten aber bleibt der Mensch gesund.
Wer glaubt, immer im
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