Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
minimalistisch eingerichtete Zweckwohnung. Steve Jobs wohnte lange Zeit allein in einem riesigen Haus, in dem sich nur ein Bett, ein Stuhl und ein Schreibtisch befanden.
Um ein wirkliches Zuhause zu bekommen, brauchen diese Männer genauso wie die Kinder die Mutti. Sie gibt ihnen ein Heim, Geborgenheit und Zuwendung – eine Rundumversorgung, die sie davon befreit, selbst nachdenken, planen und gestalten zu müssen. Aber nur wenn sie sich im Gegenzug an Muttis Vorgaben halten. Wehe, wenn sie eigene Vorstellungen entwickeln! Der Wunsch, das von den Freunden zum Geburtstag geschenkte Bild mit dem Traummotorrad im Arbeitszimmer aufzuhängen, wird mit nachsichtigem Lächeln oder scharfen Worten rigoros abgeblockt. Männer, die es zu Muttis zieht, lernen schnell, dass die Sabotage von Muttis Bemühungen, es ihrer Familie schön zu machen, für sie eine unzumutbare Kränkung bedeutet. Spätestens nachdem sie ein paarmal vor die Wand gelaufen sind, nehmen sie Abstand davon, sich in die Gestaltung des privaten Lebensumfelds einzumischen.
Und die Muttis? Ist es nicht äußerst anstrengend, ständig alles im Griff zu behalten? Die von der Zugehfrau gebügelte Wäsche wird noch einmal nachgebügelt, der 16-jährige Sohn zum Musikverein gefahren, der Mann daran erinnert, die Reifen an seinem Auto wechseln zu lassen. Und das oft noch zusätzlich zu einem Teilzeitjob. Ständige Konzentration ist gefragt, die Arbeit nimmt kein Ende. Nie gibt es einen Moment der inneren Ruhe. Warum tun Muttis sich das an? Es wäre doch viel einfacher, die Aufgabenbereiche zu verteilen und darauf zu vertrauen, dass die anderen ihre Sache gut machen.
Killeraltruismus
Eines der Hauptmerkmale von Mutti-Systemen ist das radikale »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich«: Entweder du tust alles genau so, wie ich es sage, oder du gehörst nicht mehr dazu. Genau dieser Mechanismus funktioniert nicht nur in der Familie, sondern auch auf der gesellschaftlichen und insbesondere auch der religiösen Ebene. Wer in Unternehmen, in der Politik oder überhaupt im öffentlichen Raum einfordert, dass sich alle Mitarbeiter, Schutzbefohlene, Abhängige in das Herrschaftssystem fraglos einzufügen haben, handelt wie Mutti. Wer die Mutti bedingungslos unterstützt, dem geht es gut. Aber Gnade dir Mutti, wenn nicht! Rebellion wird mit Liebesentzug bestraft; wer die Regeln infrage stellt, wird radikal weggedrückt und unschädlich gemacht.
Ich benutze hier ganz bewusst das Wort »Rebellion«. Rebellion richtet sich gegen einen totalen Machtanspruch, und genau darum handelt es sich bei dem Mutti-System. Die Art, wie Muttis die von ihnen Abhängigen kontrollieren, ist pure Machtausübung. Dabei ist Macht an sich ja nichts Schlechtes, wenn sie mit Verantwortung und Kompetenz ausgeübt wird. Wenn sie aber vor allem dazu eingesetzt wird, um sich selbst zu erhalten, auch auf Kosten aller anderen, dann ist sie ein Zerstörungsinstrument. Muttis wollen sich durchsetzen. Um jeden Preis.
Sie vertragen niemanden, der innerhalb ihres Imperiums eine eigenständige Meinung vertritt, der unabhängig von ihnen handelt. Gerade dann nicht, wenn derjenige damit erfolgreich ist. Das ist vom rationalen Standpunkt aus scheinbar widersinnig. Eigentlich müsste sich eine Mutter freuen, wenn ihr Mann oder ihre Kinder vorwärtskommen. Warum reagiert sie auf freie Geister allergisch? Liegt es daran, dass sie egoistisch ist? Was hat es mit dem Egoismus auf sich?
Eine meiner Patientinnen, eine 30-jährige Anwältin, litt unter Panikattacken. Immer wieder überfiel sie die jähe Angst, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, Fehler zu machen, zu versagen. Dann begann ihr Herz zu rasen, und vor ihren Augen verschwamm alles. Immer öfter musste sie Termine absagen. Die Panik lähmte sie dermaßen, dass sie sich Sorgen machte, ob sie ihren Beruf auf Dauer noch ausüben könne.
»Passieren Ihnen denn viele Fehler?«, fragte ich sie. »Beschweren sich Klienten bei Ihnen über Fehlberatungen oder schlechten Service?«
»Nein, nein, gar nicht!«, antwortete mir Resa aufgewühlt. »Ich bekomme jeden Monat mehr Klienten, und viele sagen mir, dass sie auf Empfehlung anderer Klienten zu mir kommen. Mir ist vollkommen klar: Meine Angst ist irrational!«
In den diagnostischen Vorgesprächen versuchten wir zu ergründen, woher diese Panikattacken stammten. Dabei kamen wir auf ihre Kindheit zu sprechen. Die Ehe ihrer Eltern hatte sich in einer Dauerkrise befunden, aber zur Scheidung war es nicht
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