Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Stammkundinnen waren begeistert und saßen jetzt nicht eine halbe Stunde, sondern anderthalb Stunden da, bevor sie zwei Knäuel Wolle kauften. Die Umsätze blieben etwa gleich, aber die Zinskosten waren durch die Investition gewaltig gestiegen. Damit kippte das Unternehmen endgültig. Britta wollte die Situation lange nicht wahrhaben. Bis ein Jahr später der Zwangsvollstrecker vor der Tür stand.
Britta verlor die »Woll-Ecke«, und ihre Familie verlor das Haus. Nun wohnen sie in einer kleinen Mietwohnung und kämpfen mit dem Schuldenberg. Jeden Tag beklagt sich Britta über die geizigen Kundinnen und die faulen Mitarbeiterinnen, die den Laden ruiniert hätten. Und über den fiesen Preiswettkampf der Kaufhäuser und Onlineshops, in dem sie einfach keine Chance gehabt habe.
»Es ist verdammt noch mal deine eigene Schuld, du hast dich schlicht übernommen!«, schreit ihr Mann Wolfgang sie manchmal wütend an.
Dann brüllt Britta zurück: »Ist es nicht! Ich hatte doch gar keine andere Wahl! Und außerdem habe ich das alles doch nur für euch getan! Du lässt mich im Stich, und dabei habe ich mich für euch aufgerieben!«
Wie alle Menschen wollen auch Muttis Zufriedenheit und Anerkennung. Gleichzeitig haben sie eine Meisterschaft darin entwickelt, völlig unbeeinflusst von den Wünschen und Bedürfnissen anderer genau die Dinge zu tun, die sie tun wollen. Nur realisieren sie nicht, dass sie diese Dinge für sich selbst tun. Sie behaupten – und sind selbst davon überzeugt –, dass sie das Beste für andere wollen. Und wenn es dann mal schiefgeht, leugnen sie das oder finden 100 fadenscheinige Erklärungen dafür, warum es auf keinen Fall ihre eigene Schuld war. »Ich musste das tun, ich hatte keine Alternative«, heißt es dann. Doch wer die Macht hat, ist auch frei in seinen Entscheidungen. Wenn Mutti also einen Fehler gemacht hat und sich mit äußeren Umständen herausredet, die ihr angeblich keine andere Wahl ließen, drückt sie sich vor der Verantwortung.
Cordelia Fine beschreibt in ihrem Buch »Die Geschlechterlüge« die Ergebnisse einer Studie der Psychologen Davis und Kraus zur Relevanz von Selbsteinschätzung der untersuchten Frauen: »Die Selbsteinschätzung der Befragten hinsichtlich ihrer eigenen sozialen Sensibilität, Empathiefähigkeit, Weiblichkeit und Fürsorglichkeit hat praktisch keinerlei Aussagewert, wenn es darum geht, die tatsächliche zwischenmenschliche Aufmerksamkeit abzuschätzen.«
Selbst eine Psychologin, die die tückischen Mechanismen von interfamiliären Machtverhältnissen eigentlich durchblicken sollte, war letztendlich nicht stark genug, aus ihrer dominanten Rolle herauszutreten, sich selbst zu erkennen oder gar aus eigenem Antrieb zu verändern: Es war zuerst der geknickte Ehemann Heinrich, der meine Hilfe suchte, weil er sich von seiner Frau Henriette, einer in leitender Position tätigen Psychologin, unter Druck gesetzt fühlte. Er bezeichnete sich selbst als einen mittelmäßig erfolgreichen Unternehmer, dem aber jeglicher Spaß an seiner Arbeit schon beim morgendlichen Aufstehen fehle. Stattdessen überkomme ihn regelmäßig depressives Grübeln über den Sinn seines Lebens, und er habe kaum noch Kraft zur Bewältigung des Alltags. Nach eigener Aussage wäre er lieber Lehrer geworden und hätte mit Kindern gearbeitet, aber sowohl seine Mutter als auch seine Frau hätten ihm das vehement ausgeredet. Aufgrund der Hinweise auf eine verantwortliche Rolle seiner Ehefrau lud ich auch diese zu einem gemeinsamen therapeutischen Gespräch ein. Gleich am Anfang betonte sie aber vehement, dass sie nur hier sei, um ihrem Mann bei der Behebung seiner für sie unerklärlichen Depressionen zu helfen, denn sie seien doch eine äußerst glückliche und erfolgreiche Familie. Sie selber habe überhaupt keine Probleme, im Gegenteil könne sie auf herausragende berufliche Erfolge verweisen und würde sich auch mit ihren beiden kleinen Kindern, ihrem Hund und ihrem Pferd sehr wohlfühlen. Nach nicht einmal der Hälfte der vereinbarten Zeit brach diese scheinbar so selbstbewusste und starke Frau in Tränen aus. Sie sei in Wirklichkeit von ihrer Rolle als Karrierefrau, Ehefrau und erst recht als Mutter völlig überfordert, habe das bisher aber immer auch sich selbst gegenüber verleugnet. Gerne nahm sie am Ende daher das Angebot zu weiteren Paargesprächen an und verließ Arm in Arm mit ihrem Mann meine Praxis. Allerdings rief mich nur drei Tage später Heinrich an und teilte mit, seine Frau
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