Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
erwischen?
Früher hatten Frauen schlicht nicht die Zeit, sich so intensiv um ihre Kinder zu kümmern. Die wurden zum Spielen auf die Straße geschickt, damit die Mutter daheim freie Bahn für die Hausarbeit hatte. Ihre harte Arbeit wurde noch nicht durch die technische Aufrüstung des Haushalts, die explosionsartig angestiegene Palette an Convenienceprodukten und andere Entwicklungen erleichtert. Für die Hausfrauen war das damals nicht so schön; für die Entwicklung ihrer Kinder aber war es ein Segen. So bekamen sie automatisch den Freiraum, sich draußen mit ihren Freunden zu treffen, Fußball zu spielen oder eigene Welten zu erfinden, die die Erwachsenen nichts angingen.
Ist das jetzt Früher-war-alles-besser-Nostalgie? Nein, ich denke nicht. Das Argument, dass es in Großstädten zum Beispiel kaum noch Plätze in direkter Nachbarschaft gebe, wo ein Kind einfach spielen kann, zählt nicht. Eine Stadt besteht nicht nur aus stark befahrenen Autostraßen, sterilen Einkaufs-Flaniermeilen oder schäbigen Ecken. Ich bin überzeugt davon, dass Kinder sich ihren Raum erobern können – in der Stadt wie auf dem Land. So wie ein Dorfteich zum Weltmeer werden kann, mutiert auch ein 20-Quadratmeter-Gebüsch vor dem Wohnsilo zum Urwald: Überall warten Abenteuer und neue Erfahrungen. Mutti müsste es nur zulassen.
4
Ohne Mutti geht es nicht
»So, da ist noch eure Truhe. Wo wollt ihr sie hinhaben?« Der junge Huberbauer und seine Frau wuchten die schön bemalte Truhe des alten Huberbauern durch die Tür des kleinen Häuschens und stellen sie erst mal schnaufend ab. Heute ist es so weit: Die Eltern ziehen aufs Altenteil, ein Nebengebäude auf dem großen Bauernhof. In den letzten Jahren ist ihnen die Feldarbeit zunehmend schwergefallen. Die Mutter hat Wasser in den Beinen, und dem Vater sitzt die Gicht in den Fingern. Deswegen haben sie in diesem Frühling vereinbart, zum Martinstag den Hof an den ältesten Sohn zu übergeben.
»Und ihr wisst ja, wenn einer von euch krank wird, sorg ich für euch«, versichert die junge Schwiegertochter noch einmal. »Und wenn ihr mal nicht zum Essen zu uns kommt, schau ich nach, was los ist.«
»Na, so alt sind wir aber noch nicht!«, protestiert die Mutter lachend. Anfang 60 ist sie. In ihrem dicken Zopf mischen sich immer noch ein paar schwarze Strähnen ins Stahlgrau. Aber ab heute wird sie die Altbäuerin sein. Mit gemischten Gefühlen hat sie in den letzten Monaten versucht, sich auf diesen Tag vorzubereiten. Leicht ist das nicht, den Hof und die Verantwortung in die Hände der nächsten Generation zu übergeben. Aber sie freut sich auch darauf, in dem kleinen Gärtchen nicht nur Kartoffeln, sondern auch schöne Dahlien und Pfingstrosen anzubauen.
»Ich tät mich freuen, wenn du oft rüberkommst und mir beim Gemüseputzen hilfst und Gesellschaft leistest. Aber gelt, wenn’s nimmer geht, musst auch nicht«, sagt nun die Jungbäuerin.
Der Vater mustert das junge Paar stolz. »Ihr seid zwei Rechte. Euch kann ich beruhigt den Hof übergeben. Tüchtig seid ihr und wisst, wie der Hase läuft. Markus, ich hab dir alles beigebracht, was ich weiß, und du hast noch bei anderen Leuten dazugelernt. Ich weiß, dass du den Hof gut führen wirst!«
Die jungen Bauern helfen den Alten, ihre persönlichen Besitztümer an den Platz zu räumen. Dann gehen sie wieder zurück zum großen Bauernhaus, das jetzt das ihre ist. Kurz darauf kommt der Schmied vorbei.
»Wo ist denn der Huberbauer?«, fragt er.
»Das bin ich«, erwidert Markus Huber.
»Ja, was ist denn mit dem Sepp?«
»Der ist heute aufs Altenteil gezogen. Wenn du mit ihm über die Nachrichten aus der Kreisstadt plaudern willst, findest du ihn dort drüben. Aber wenn’s um unseren Pflug geht, den du uns richten sollst, dann rede mit mir!«
Hänschen klein
Es ist Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu selbstständigen Menschen zu erziehen. Zu Erwachsenen, die für sich selber sorgen, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und ihren Haushalt selbst führen können. Und das Wichtigste: selbst die Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen. Dazu gehört die emotionale Reife, die Balance zu finden zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen anderer Leute. Erst dann sind sie auch in der Lage, Verantwortung für andere zu übernehmen – und später auch eigene Kinder großzuziehen. Kurz gesagt: Die Aufgabe von Eltern ist es, sich überflüssig zu machen.
Natürlich ist das Erwachsenwerden eines Menschen ein langsamer und
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