Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
zurecht.«
Muttis ganz spezielle Art der mütterlichen Liebe erzeugt eine tiefe Abhängigkeit, die der Entwicklung einer selbstständigen Persönlichkeit im Weg steht. Aber ist Selbstständigkeit überhaupt gewollt? Anscheinend nicht. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter 3000 Eltern von Kindern unter 14 Jahren ergab, dass jeweils über vier Fünftel der Eltern Wert auf Höflichkeit, Ehrlichkeit sowie Ordentlichkeit und Gewissenhaftigkeit legen. Am Ende der Werteskala liegen Kunstinteresse und Glaube mit jeweils rund 20 Prozent. Auch Durchsetzungsvermögen und Anpassungsfähigkeit sind auf dieser Liste vertreten. Selbstständigkeit hingegen taucht in dieser Umfrage erst gar nicht auf, sie ist offensichtlich kein Erziehungsziel, das abzufragen oder zu erwähnen überhaupt lohnt.
Mein Herz ist dein Gefängnis
Das totalitäre System Mutti greift rückhaltloser auf das Kind zu, als dies Staat, Partei oder Kirche jemals tun könnten. Letztere kann ein geschickter widerborstiger Untertan notfalls auch mit puren Lippenbekenntnissen und gelegentlichem Fahnenschwenken zufriedenstellen. Mutti dagegen braucht sich nicht mit nur scheinbarer Unterwerfung abspeisen zu lassen, denn sie hat es geschafft, ihr Kind emotional abhängig zu machen. So wie der Junkie sein Heroin braucht auch das Kind seine Mutti. Ohne Stoff drohen dem Abhängigen fürchterliche Entzugserscheinungen; dem Muttersöhnchen aber drohen, wenn es sich von Mutti zu emanzipieren sucht, die nicht weniger verheerenden Schuldgefühle, die es sein Leben lang nicht loswird.
Ein entschlossener Schritt in die Selbstständigkeit wäre ein räumlicher Sicherheitsabstand. So wie der Dissident den Staat flieht, in dem er unfrei ist, muss das Kind das System Mutti verlassen, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Eine solche Abnabelung kann natürlich nur gelingen, »wenn man in einer kilometermäßig sicheren Entfernung vom Elternhaus seine neue Bleibe hat. Denn elterliche Kontrollüberfälle mit der Begründung ›Wir waren gerade in der Nähe‹ werden unglaubwürdig, wenn man 80 Kilometer entfernt wohnt«, wie Roland Kopp-Wichmann, Autor des Buches »Frauen wollen erwachsene Männer«, konstatiert. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom April 2011 ergab aber, dass über 50 Prozent der Befragten ihre Wohnung weniger als zehn Kilometer vom Elternhaus wählen und jeder Zehnte sich weniger als 500 Meter von seinen Eltern entfernt. Eine echte Abnabelung ist das nicht, sondern eher ein zusätzliches Zimmer im Hotel Mama.
Klassischerweise bieten Lehre oder Studium die Chance, einen Sicherheitsabstand zwischen sich und das Elternhaus zu bringen, denn den Lehrherrn im gewünschten Handwerk und die Uni mit der gewählten Fächerkombination gibt es nicht überall. Doch anstatt dass sich die jungen Erwachsenen von den Eltern zu Hause verabschieden, bringen sie sie im Schlepptau mit.
»Mittlerweile kommen in einem Drittel der Fälle die Eltern mit in die Studienberatung«, sagt Rolf Dörr, Studienberater der Arbeitsagentur Mönchengladbach. Er erzählt davon, wie er einmal eine Mutter aus dem Beratungszimmer hinauswerfen musste, weil sie darauf bestand, dass ihr Sohn Finanzbeamter werden solle, dieser aber lieber Naturwissenschaften studieren wollte. Es sei auch schon vorgekommen, dass Eltern zum Bewerbungstraining erschienen, weil der Sohn verhindert gewesen sei.
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung konstatierte im Januar2011 , dass nicht nur Arbeitsagenturen, sondern auch Hochschulen und Arbeitgeber fast einhellig die zunehmende Einmischung von Eltern in die Karriereplanung ihrer Kinder feststellen.
Ist die Entscheidung für eine Ausbildung gefallen, geht es fröhlich weiter: Studenten in Münster zum Beispiel bekommen durchschnittlich sechsmal im Jahr Besuch von ihren Eltern. Und sechsmal im Jahr findet an der TU Dresden eine Eltern-Campus-Tour statt. Überbesorgte Muttis nehmen sich, wenn ihr Spross etwa für ein Auslandssemester in eine englische Stadt geht, dort eine Ferienwohnung, um ihrem Herzblut zur Seite zu stehen. Oder sie lassen ihr Kind gar nicht erst aus Deutschland wegziehen – es bleibt bei Mutti und fliegt mit einem Billigflieger jeweils für zwei Tage in der Woche zu seinen Vorlesungen nach England, wann immer es geht, von Mutti begleitet. So schafft es Mutti, dass ihr Kind selbst bei einem Auslandssemester keine neuen Erfahrungen macht und garantiert keine eigenen Ideen entwickeln
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