Mutti packt aus
als denken können, haben wir uns seinerzeit trotzig ins Poesie-Album geschrieben. Aber damals hatten wir ja auch keine Ahnung, worauf es im Leben wirklich ankommt: auf Schönheit. Leider stehen Mütter und Töchter bei diesem Thema auf verschiedenen Seiten, und all meine Beteuerungen klingen, wie wenn der Ku-Klux-Klan We shall overcome singen würde. Dass es nur darum geht, anmutige Rundungen gut sichtbar zu verstecken, sehe ich jetzt ein und lasse mich zum Shoppen überreden.
Ein paar Stunden später verschanzen sich beide schluchzend in der Umkleidekabine bei Esprit, weil auch die dritte Jeans nicht passt. Da habe ich tief Luft geholt, Anlauf genommen und die Göttin in mir erweckt. Mir eine Verkäuferin geschnappt und sie angeschrien, dass sie nur was für Barbiepuppen, aber nichts für Frauen hätten. Und dass ich sie persönlich und den ganzen Laden obendrein zur Verantwortung dafür ziehe, dass meine Töchter jetzt bitterlich weinen. Und das alles nur, weil ein dämlicher Klamottenkonzern, der sich auch noch mit einem so geistreichen Namen schmückt, offenbar keine Ahnung hat, was der Unterschied zwischen einer Bohnenstange und einer richtigen Frau ist. Und dass sie, wenn sie Puppenkleider verkaufen wollen, gefälligst »Spielwarenhandlung« aufs Schild schreiben sollen, anstatt junge Mädchen, diese zauberhaften Wesen, hinterhältig zu frustrieren und gemein fertigzumachen. »Manno Mama, du bist ganz schön peinlich!«, ächzt die Große und die Kleine nickt betreten. Aber dann strahlen sie mich plötzlich an. Die Verkäuferin (Jeans Größe Zero) hat auch einmal tief Luft geholt – und dann die richtigen Größen herausgesucht.
Voilà – geht doch.
Geschenkt!
»Ihre Tochter möchte gerne abgeholt werden.« Dass derlei Extrawünsche plötzlich und unerwartet an mich herangetragen werden, ist nun alles andere als ungewöhnlich, und nor malerweise folgt dann die übliche Diskussion darüber, warum das nicht rechtzeitig angesagt worden sei oder wie es denn bitteschön sein könne, dass der verdammte Schlüssel für’s Fahrradschloss jetzt in irgendeinem Berliner Gully vor sich hin rostet. Dieser Anruf allerdings wird von einem Karstadt-Detektiv getätigt, der mein Mädchen fest in seinen Klauen hat und es nicht wieder auf freien Fuß setzt, wenn ich es nicht persönlich abhole, denn: Meine Tochter hat geklaut. Und ist erwischt worden.
Gut, dass eine 12-Jährige mal klaut, ist so überraschend wie Schneefall im Januar. Man sollte dem unaufgeregt, fest und freundlich, aber mit klarer Konsequenz begegnen. Aber warum jetzt? In genau einer Stunde startet mein Frankfurt-Flieger, den ich schon deshalb unbedingt kriegen muss, damit meine Kinder und ich nicht klauen gehen müssen! Soeben nähe ich noch schnell einen Knopf an mein einziges Business-Blazerchen; es fliegen Papiere in den Koffer, während ich gleichzeitig via SMS dem am späten Nachmittag anreisenden Kindsvater letzte Hinweise, Warnungen respektive Drohungen an den ängstlichen Kopf werfe, denn als Ungeübter zwei Tage lang vier Kinder samt gemachten Hausaufgaben, Schulbroten, Sportzeug und warmen Abschiedsküssen pünktlich auf den Schulweg zu bringen, ist nichts für Feiglinge. Im Nanosekundentakt ploppen Pläne von A bis Z unter meiner Schädeldecke, munter wie das Popkorn im Topf gegen den Deckel. Schnell den Vater der Diebin anrufen, damit er sie von Karstadt abhole? Ach, der würde überzogen, weil pädagogisch ungeübt reagieren und im väterlichen Furor eine direkte Linie vom Erziehungs- zu meinem Beziehungsversagen behaupten, die ich dann wieder in monatelanger Kleinarbeit zu entkräften hätte. Keine gute Idee. Die Nachbarin? Ist doch jetzt gar nicht zu Hause. Ich kann nicht! Nicht jetzt! Herrgottnochmal, hätte sie nicht gestern klauen können?! O. k., dann muss es halt sein, ich werde lossprinten und nachher Billi, die mich zum Flughafen bringen will, einfach anfeuern, mehr Gas zu geben. »Hallo, was denn nun?«, höre ich diesen unsympathischen Menschen am anderen Ende der Leitung forsch nachfragen. Karstadt ist keine fünf Fußminuten von unserer Wohnung entfernt. Ich muss jetzt imperativen Charme entfalten: »Hören Sie, Sie werden meine Tochter jetzt bitte allein nach Hause gehen lassen. Ich bin ihre Mutter, bestimme über ihren Aufenthaltsort und erwarte sie in fünf Minuten in unserem Wohnzimmer. Nicht zehn – fünf!« Er stammelt noch etwas von Das-ginge-aber-Nicht, knickt jedoch unter meiner von Zeitnot und aufkommender
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