MYLADY SOMMERBAND Band 03: HERZKLOPFEN IM ROSENGARTEN / LADY ODER KURTISANE? / (German Edition)
„Wahrhaftig, ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, weil sie meinem Bruder geholfen haben.“
„Es freut mich, dass ich gerade im rechten Moment zur Stelle war.“ Amüsiert beobachtete er, wie der Knabe auf Befehl seiner Schwester die Hände ausstreckte, damit sie die Schrammen begutachten konnte. Den Kopf hielt sie dabei gesenkt, und ein paar kastanienfarbene Locken fielen ihr ins Gesicht, denn ihr Strohhütchen war wohl infolge der Aufregung ein wenig verrutscht. Ein bezaubernder Anblick, fand Latimer.
Da sie vergeblich versuchte, den Schmutz von den Handflächen des Jungen mit einem feinen Spitzentüchlein abzuwischen, griff Ned schließlich in die Tasche und hielt ihr sein eigenes makellos sauberes Schnupftuch hin. „Damit haben Sie vielleicht mehr Erfolg“, sagte er. Er war jetzt deutlich besserer Laune und gestand sich ein, dass er die Bekanntschaft mit der jungen Dame gern vertieft hätte.
Sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Ein seltsames Gefühl der Erregung ergriff Besitz von Latimer.
„Danke, Sir. Sie müssen mich für sehr unhöflich …“
Der Satz wurde nie beendet. Denn der Postillion, verärgert darüber, dass sich die Abfahrt der Kutsche verzögerte, stieß plötzlich einen lauten Fluch aus und schüttelte drohend die Faust. Einer der Reisenden klopfte ungeduldig gegen die Scheibe der Kutsche. „Aus dem Weg!“, brüllte jemand.
Die kleine Gruppe Neugieriger, die sich um die junge Dame sowie ihren Bruder und dessen Retter versammelt hatte, fuhr auseinander. Es entstand ein Durcheinander, in dem Latimer zur Seite gedrängt wurde. Ein älterer Mann redete auf ihn ein, doch er hörte gar nicht zu. Vergeblich versuchte er, die ungleichen Geschwister im Auge zu behalten. Als sich das Gedränge um ihn her endlich auflöste, war von den beiden nichts mehr zu sehen. Dabei hätte er so gern den Familiennamen und die Adresse der zwei erfahren! So jedoch blieb ihm nichts anderes übrig, als sich um sein Gepäck zu kümmern und sich sodann im Gasthof zu erkundigen, wie er am besten nach Compton Lacey gelangen könne.
Der hilfsbereite Wirt erklärte, da Markttag sei, werde sich gewiss eine Mitfahrgelegenheit finden. Ja, er selbst wolle diejenigen seiner Gäste, die aus dem Dorf kämen, gern fragen, ob sie einen Fahrgast mitnehmen könnten. Ob der Gentleman in der Zwischenzeit eine kleine Erfrischung wünsche? Ein Ale vielleicht?
Dankend nahm Latimer beide Angebote an. Und während er in der von Leben erfüllten Gaststube saß, hin und wieder einen Schluck aus seinem Glas trank und wartete, rief er sich noch einmal jede Einzelheit seiner Begegnung mit der leider so plötzlich verschwundenen jungen Dame in Erinnerung. Wie bezaubernd ihr kastanienfarbenes Haar geglänzt hatte! Und erst die Augen! Ein so wunderbares dunkles Blau hatte er noch nie gesehen.
Ein beinahe wehmütiges Lächeln huschte über sein Gesicht, als ihm die Worte seines Cousins einfielen. Perry hatte sehr deutlich gemacht, dass er nicht an den Engel glaubte, dem Ned außerhalb Londons zu begegnen hoffte. Ach, dachte Latimer, da habe ich die Frau meiner Träume womöglich bereits getroffen, nur um sie gleich wieder zu verlieren. Ob es eine Möglichkeit gab, doch noch herauszufinden, wer sie war?
Es mochte hilfreich sein, dass er sich so genau an ihr Aussehen erinnerte. Sie war recht groß, dabei biegsam und schlank, allerdings mit sehr weiblichen Rundungen. Die hatten ihr Musselinkleid, das sich nur als unauffällig beschreiben ließ, nicht verbergen können. Auch das Strohhütchen mit dem schwarzen Band war nichts Besonderes. Abgesehen von eben diesem Band! Wahrhaftig, auch der Knabe hatte etwas Schwarzes getragen, eine Armbinde wohl. Offenbar trauerten die Geschwister um einen verstorbenen Angehörigen. Das würde die Suche nach ihnen ein wenig erleichtern.
Außerdem – Latimer runzelte die Stirn – hatte er kurz den Vornamen des Jungen gehört. Wenn er sich doch nur erinnern könnte! Cuthbert? Robert? Nein … Rupert! Ja, die junge Dame hatte ihn Rupert genannt!
In diesem Moment trat der Wirt an seinen Tisch und erklärte fröhlich: „Ich habe eine Mitfahrgelegenheit für Sie gefunden, Sir. Mr. Radley macht sich gleich auf den Rückweg nach Compton Lacey. Und er ist gern bereit, Sie mitzunehmen bis zu Blanchard’s Cottage.“
Wie sich herausstellte, war Andrew Radley ein wohlhabender junger Landwirt, der einen beachtlichen Grundbesitz am Rande des Dorfes sein Eigen nannte. Glücklicherweise war der
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