MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
seinen kühnsten Gebeten herbeigewünscht hatte. Doch kurz bevor Iain sich von ihm abwandte, hatte Robert gesehen, dass sich in seiner Miene nicht die frohe Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit der geliebten Frau spiegelte, sondern dass erneut Niedergeschlagenheit von ihm Besitz ergriff.
Robert blickte sich nach etwas zu trinken um. Er brauchte jetzt etwas, um sich zu stärken – nein, eher wollte er den bitteren Geschmack seiner warnenden Worte hinunterspülen. Nichts hätte er lieber getan, als Iain bei seiner Rückkehr zur Normalität zu ermutigen, doch eine Zukunft mit Julia gehörte nicht dazu. Trotzdem, dass Iain überhaupt Interesse zeigte, dass er sich auf diesem Gebiet überhaupt bemühte, flößte ihm neue Hoffnung für den Jungen ein.
Da er wusste, dass Trey hier irgendwo eine Flasche seines Lieblingswhiskys aufbewahrte, begann er zu suchen, bis er ihn gefunden hatte, und goss sich eine großzügige Portion ein – er würde es brauchen, wenn er seiner Frau und der Countess gegenübertrat, um über die Ereignisse dieses Morgens zu sprechen.
Während er den Geschmack des Whiskys und die Entschlusskraft genoss, die dieser ihm anscheinend einflößte, fiel sein Blick auf das von einem roten Band zusammengehaltene Grünzeug, das in dem abgeschiedenen Winkel von der Decke baumelte, und stöhnte.
Zum Kuckuck mit der Countess und ihren Mistelzweigen!
5. KAPITEL
Die nächsten zwei Tage bekam sie Iain nicht zu Gesicht. Julia hielt morgens nach ihm Ausschau, doch er frühstückte nicht mit dem Rest der Gruppe, und auch dem Mittag- und Abendessen blieb er fern.
Weder nahm er am Unterhaltungsprogramm teil noch am alljährlichen Ausflug zu den Nachbarn. Und auf den abendlichen Tanzveranstaltungen, die dem Vergnügen der Gäste – und den Zwecken ihrer Schwester – dienten, ließ er sich natürlich auch nicht blicken.
Während sie nun im Roten Salon saß und die dicken Schneeflocken betrachtete, die draußen vor dem Fenster vorbeitrieben, fragte sie sich, ob sie ihn wohl je wiedersehen würde. Das einzig Gute an diesem Wetterwechsel war, dass er es ihm unmöglich machte, in die Stadt zurückzureisen.
Julia schüttelte den Kopf. Anscheinend wurde sie von Tag zu Tag englischer. London „die Stadt“ zu nennen war nur ein Anzeichen. Nicht dass sie die dort gebotenen Vergnügungen sowohl gesellschaftlicher als auch kultureller und sogar intellektueller Natur nicht zu schätzen gewusst hätte, doch London im Geiste so zu bezeichnen bewies, wie sehr ihre schottische Erziehung bereits untergraben war.
Lady Sutcliffes Klagen über den Schnee drang in ihre persönlichen Überlegungen ein. Die ältere Dame war entschieden dagegen, an einem so kalten Tag an die frische Luft zu gehen, was Julia nur in ihrem Wunsch bestärkte, genau das zu tun. Obwohl sie sich nach ihrem „Ausrutscher“, wie Clarinda es bezeichnete, wieder verstärkt darum bemühte, eine vollkommene junge Dame zu werden, langweilte sie die Rolle bereits wieder.
Nichts hätte sie lieber getan, als das Joch der vornehmen Gesellschaft abzuwerfen und im frisch gefallenen Schnee herumzutollen. Mit Blick auf die öde Gesellschaft im Salon hätte sie sich nichts Schöneres herbeisehnen können.
Nun, ganz stimmte das nicht. Noch sehnlicher wünschte sie sich einen Kuss von Iain. Jetzt, wo sie erkannt hatte, dass sie ihm nicht gleichgültig war, sehnte sie sich danach, ihren Gefühlen nachzugehen und zu testen, was genau sie für ihn empfand. War das dumm? Woher hätte sie sonst wissen sollen, wie groß und wie echt ihre Gefühle für ihn waren? Diese Gefühle stellten schließlich alles infrage, was ihre Schwester so sorgfältig für sie geplant und in die Wege geleitet hatte.
Sie verübelte Anna ihre Versuche durchaus nicht, ihr einen liebenswürdigen Ehemann zu suchen – einen, der sie versorgen und im Lauf der Zeit hoffentlich zärtliche Gefühle für sie entwickeln würde. Wenn sie die Sache in einem vernünftigen und praktischen Licht beurteilte, wie es auch sonst ihrer Art entsprach, musste sie auch zugeben, dass ihr als Mündel des Earl of Treybourne vermutlich eine brillante Partie ins Haus stand.
Doch seit diesem Kuss …
Sie konnte an nichts anderes denken als an Iain. Und obwohl ihr bei dem Gedanken, einen weiteren intimen Augenblick mit ihm zu teilen, das Herz bis zum Halse klopfte und ihre Haut ganz merkwürdig zu prickeln begann, war ihr die Vorstellung, dies mit einem anderen zu tun, äußerst unangenehm.
Dieser Kuss …
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