Myrddin
auskannten. Und welche erwachsenen Menschen kannten sich schon mit den Spielplätzen der Kinder aus, die ihnen die Welt bot?
Es war rutschig und glatt. Die Steine waren bereift und Salzkrusten machten den Untergrund zu einer seifig-glitschigen Fläche. Die Höhle, von der Brian erzählt hatte, lag mehrere Meter höher als der Strand. Und sie sollte flutsicher sein, wie Brian versicherte. Was das zu bedeuten hatte, wußten selbst die Elfen, da Myrddin sie über den mächtigen Mond und den Gezeitenwechsel aufgeklärt hatte.
Es war eine Felshöhle mit einem steinigen Boden, einer halbrunden Öffnung zur Seeseite, und wie hoch die Felswand ragte, in der die Höhle eingebettet war, konnte Myrddin nicht sagen, da sie im Nebel verschwand. Brian hatte wirklich ein gutes Versteck gefunden, in dem sie früher als Kind gespielt hatte, wie sie sagte. Und wie lange mochte in ihrem Alter dieses Früher zurückliegen, amüsierte sich Myrddin über die Formulierung einer Vierzehnjährigen.
Nachdem Tralee ihre Tasche abgesetzt und sich in Pallucks dicken Mantel gehüllt an die Felswand gesetzt hatte – dicht neben den nebligen Eingang –, hatte Myrddin in den Nebel zurückgeblickt und seine Puppen vor dem Eingang platziert. Brian wollte wieder los. Sie wollte den Stand der Gerüchte erfahren und außerdem mußte sie nach Hause, damit ihr Onkel Rhys nicht auf den Gedanken käme, daß sie sich irgendwo auf der Insel herumtrieb, zumal er die Geschichten von dem erschlagenen Palluck gehört haben mußte und man in unruhigen Zeiten, da sich ein flüchtiger Mörder auf der Insel befand, besser auf sich und seine Angehörigen aufpassen mußte. Ratten, die in die Enge getrieben werden, beißen, hatte Brian ihn bei einer anderen Gelegenheit philosophieren gehört.
„Ich versuche heute Nacht zu kommen, Leslie. Ich habe es ja nicht mehr ganz so weit und bringe euch etwas zu essen mit, okay“, sagte Brian.
„Patty, du bringst dich in Gefahr. Warum tust du das?“ fragte Tralee
„Och … ich finde es echt spannend. Wischen wir der alten Tucke mal richtig eins aus – und dann wäre es ja jammerschade, wenn ich nicht mitmischen würde“, erwiderte sie.
„Mir steigt das alles über den Kopf. Ich würde viel lieber nach Hause gehen und mich ausruhen.“
„Das hatten wir schon. Die werden sicherlich auch bei dir sein und nur drauf warten, daß du auftauchst, meinst du nicht?“ verdeutlichte Brian der vollkommen verunsicherten Tralee.
„Wahrscheinlich stimmt das. Aber …“
„Na also. Ich komme heute Nacht und spitze zuvor meine Ohren. Charles wird den letzten Klatsch aus dem Pub mitbringen … und wenn sich etwas klären sollte, dann könnt ihr ja wieder zurück“, meinte Brian und nahm das Dilemma wie eine Mathematikaufgabe mit freien Variablen, die es zu lösen galt. Und sie war bereit, sie logisch anzugehen, schlüssig zu rechnen und zu einem Ergebnis zu kommen, wie Palluck sie gelehrt hatte. Er hatte ihr einmal gesagt, daß Mathematik wie das Leben sei … Sie schult und trainiert nur deinen Verstand, Patty, und läßt dir die Dinge einfacher werden, je schwieriger die Aufgaben sind. Die Voraussetzung ist nur, daß du die Regeln kennst und sie anzuwenden verstehst …
Und sie hatte die Regeln auswendig gelernt, vor sich hergesagt, bis sie vor ihren Augen flimmerten und sie sie manchmal schon nicht mehr verstehen konnte, die sie zuvor verstanden zu haben meinte. Mit den Büchern unter dem Kopfkissen war sie eingeschlafen. So war sie in der Mathematik zu einer Könnerin geworden, doch das hatte ihr nicht gereicht, weil sie eigene Maßstäbe suchte, die sie setzen wollte, und weil sich Fragen aufwarfen, die ihr niemand in der Schule beantworten konnte. Und dann war es Palluck gewesen, der ihr Antworten geben konnte, die sie in der Anwendung als richtig erkannt hatte. Palluck hatte sie jedesmal auf den richtigen Weg bringen können – und Brian wollte denken. Sie wollte planen und wollte mit den Menschen von Mainland Schach spielen. Und sie hatte eine gute Eröffnung gezogen, die Palluck als Lehrmeister alle Ehe machen sollte. Nun war der Gegner am Zug und ihn wollte sie gleichzeitig ausspionieren. Bei ihrem Schachspiel hatte sie jedoch die Rechnung ohne Myrddin gemacht, den sie bisher als vergleichsweise schlechten Partner empfunden hatte.
So verabschiedete Brian sich mit großer Zuversicht und hegte nicht den geringsten Zweifel daran, daß Palluck sich selbst das Leben genommen hatte, da sie ihn kannte. Und es machte sie
Weitere Kostenlose Bücher