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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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Wikinger singen, damit sich sein Coed Celyddon wieder an ihn gewöhnen konnte und er nicht allein unter fremden Bäumen wandern mußte. Jemand, der seine Geschichten freiherzig erzählte, war auch ein freier Mann, meinte Myrddin, und so erzählte er guten Mutes, was er erlebt und gelernt hatte, und wollte auf diesem Weg wieder ein Gärtner seines Waldes werden. Aber der Wald schien ihn nicht zu verstehen und ließ seine Fragen unbeantwortet. Er wanderte unter den wesenlosen Bäumen, die nichts mehr mit ihm gemein hatten.
    Der Seher durchquerte Täler und überwand Hügelrücken, lief über Lichtungen und durch öde Kulturlandschaften – wie man sie nannte, die weder Kultur noch etwas von Landschaft besaßen, wie er feststellen mußte, sondern einfach nur ihr eigenes Leben verloren hatten. Er war traurig, daß sich der Wald gelichtet hatte, und verstand schließlich das Schweigen, das ihm begegnet war. Weshalb nur hatte sich der Wald nicht wehren können? Schweigend hielt er sein herrliches Holz und ließ sich fällen, wo es den Menschen in ihren vermeintlich empfindsamen Kultursinn kam, der ebenfalls nichts mit Kultur und noch weniger mit Sinn zu tun hatte, meinte er ärgerlich. Das einstige Dickicht war zu einer parkähnlichen Kulisse verkommen. Und wo war das Dickicht der Zaunkönige und Grasmücken? Wo war der Schutz der Füchse? Nicht einen einzigen Dachsbau hatte er gesehen. Kein Wiesel und kein Hermelin waren ihm begegnet – und die Bäche, die er gerne durchquerte, waren tote, sprudelnde Wasser, in denen sich einst die schwimmenden Zauberer getummelt hatten, seine so geliebten Fischotter, die Meister der Bewegung und die tauchenden Tänzer der geistvollen Narretei seines Britanniens.
    Trotzdem sprach er weiter, wanderte und erzählte seinen Bäumen, weshalb er gekommen sei und daß er nicht wisse, wo seine Zeit in der Welt enden solle. Je weiter er lief, desto bedrückter wurde er, da er gerne Antworten erhalten hätte, denn er war auch ein vorzüglicher Zuhörer, was der Wald gewußt hätte, wenn er Wald gewesen wäre. Doch er war es nicht mehr. Er war ein Opfer der Wald- und Flurbereinigung, ein bloßer Gegenstand forstwirtschaftlicher Statistiken, deren Kalkül nicht mehr aufgehen konnte, da die Bäume in sich gestorben waren. Und ein Baum selbst begriff seinen statistischen Charakter der Gegenwart nicht.
    Myrddin merkte, daß das Holz in seinem Kamin feucht war, so große Mühe er sich auch gab. Kein Funke wollte ein trockenes Knistern hervorbringen. Er war in seiner Blockhütte, doch sie blieb kalt und durch die Fenster sah er in eine kultürliche Öde , wie er es nannte, in der die Menschen sich ihres Tuns nicht bewußt geworden waren. Und das war aus den Gärtnern geworden, die es einmal gegeben hatte, die Laub und Geäst nicht als Unordnung zwischen Bauten angesehen, sondern ihre Rabatten dichter um die Häuser herum angelegt hatten, damit man das pflegen konnte, was der Pflege bedurfte? Wo waren diese Gärtner hin? Und wie konnte es sein Wind zugelassen haben? Wie sein Regen und wie seine Wolken? Sie spielten nicht mehr zusammen – waren einander entfremdet – und hatten den Sinn füreinander verloren, da der Regen nicht kam, wenn er kommen sollte, und der Wind tobte, wenn die Bäume am wenigsten darauf vorbereitet waren. Und so konnten seine Bäume nur stehen und abwarten. Die sensible Balance schien gestört zu sein, und der Waldboden öffnete sich mit Stöhnen, indem er seine Wurzeln freilegte, die er damals noch als Frucht in sich gespürt hatte.
    Ich bin ein alter Mann … und die Fenster sind geborsten, die Scheiben sind zerschlagen …, dachte Myrddin. Doch woher solle er das Glas nehmen, um die Scheiben zu ersetzen, und woher die Geduld, darauf zu warten, daß das Holz in seinem Kamin trocknete, damit vielleicht doch noch ein Funken ein gemütliches Licht spenden könnte und die alten Oden in nächtlichen Stunden wahr werden ließe? Er war ein Greis geworden und die Jahrhunderte hatte er getragen, um dieses Spektakel mitzuerleben, wunderte er sich.
    Dieser Anblick des Coed Celyddon war jedenfalls bemitleidenswert und gerne hätte er sich diesen Eindruck auf seiner letzten Reise erspart.

XXVII
    Die mächtigen, von Gesträuchen und Bäumen überwachsenen Erdwälle hatte Myrddin überquert – und er konnte seinen schwarzen Berg schon sehen, dessen Massiv die Täler des Nordens versperrte. Wie in Trance folgte er einem reißenden Bach gegen seine Strömung, stolperte einige Male und

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