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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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ihnen aus den Händen zu gleiten, bevor sie zum Selbstzweck wurde.
    Für die Menschen war vieles leichter geworden. Arbeitsprozesse wurden vereinfacht, Zeit konnte gespart werden und die Menschen wurden älter, als sie früher werden konnten. Obwohl sie Medizin zu besitzen schienen, die Krankheiten lindern oder verhindern konnten, gab es Krankheiten, die es damals nicht gegeben hatte. Insofern war die Verbesserung der medizinischen Kenntnisse und die höhere Alterserwartung eine relative und zweischneidige Angelegenheit, überlegte der Seher. Unter bestimmten Bedingungen ließ man die Menschen heute besser leben, als sie damals hätten leben können, wären sie überhaupt so alt geworden. Doch das Alter an und für sich schien zu einer Krankheit geworden zu sein, die die Jugend verrunzelte, die die Menschen offenbar anstrebten. Und die Menschen wollten am wenigsten von dieser Krankheit befallen werden. Die Katastase bestand in der Anlage des Menschen, die sich nicht verändert hatte. Er wollte sich nicht als reisender Gast in einer Welt fühlen, sondern stets als Eroberer fühlen dürfen.
    Ausschließliche Attribute der mißverstandenen Männlichkeit hatten ihn heimgesucht und sollten von seiner Stärke zeugen. So hatten es auch viele Druiden geglaubt. So glaubten es Mönche. So war der Klerus entstanden. So auch ein frauenfeindlicher Islam. Und so machte es sich die Politik zunutze. Aber ebenso hatte sich die Menschheit auch geirrt. Es war einer der fatalsten Rückschritte in der Entwicklung der menschlichen Reife, daß die Männer Kraft besessen hatten, Keulen schwingen zu können, um das Weib zu beschützen oder es zu erschlagen. Und in der Frau war stets die Urangst vor der männlichen Roheit und Brutalität, dachte Myrddin. Eine Maus, die weiß, daß sie ein Tier ist, hat die Chance, geringfügige Veränderungen in sich als Maus zu spüren, und kann sich über Generationen Mühe mit sich selbst als Maus geben. Sie könne zu einer größeren heranwachsen und ihr Erbe den Kindern mitgeben, die dann in vielen Jahren zu Ratten werden könnten – vielleicht sogar zu Kängurus. Doch Menschen, die nicht glauben, daß sie nur Tiere sind, und sich gegenseitig von Engeln erzählen, stürzen schon beim ersten Flugversuch in die Tiefe und zerschmettern auf Steinen zu Knochenbrei, da sie nur Menschen sind, die ihre Natur nicht erkannten und ihre Anlagen nicht entwickelten. Diejenigen, die sich selbst erkennen, können sich entfalten, meinte der Zauberer. Und jene, die sich als Engel träumen, haben keine Entwicklung, da sie sich nicht erkannt haben. Und was für ein süßer Wein ist die Illusion, die man erzeugt, wenn man erst die Wirklichkeit negiert hat?
    Myrddin grinste über die Menschheit, wie er sie sooft ausgelacht hatte, sobald sie ihm in den Sinn gekommen war. Es war ihr einfach nicht zu helfen und die Idiotie war ihr nicht auszutreiben.
    Der Seher hatte sich vor die Grotte gesetzt, sein Lederpaket herausgeholt, das er unter Pallucks Hemd getragen hatte, und neben sich gelegt, als ihn der Wunsch überkam, ein kaltes Bad in dem prickelnden Wasser zu nehmen. Wie sehr er riechen mußte, dachte er, zog sich seine Kleidung aus und ging nackt zu einer Steinwanne, die er sich damals in den Felsen geschabt hatte und in der stets etwas Wasser stand. Gespeist wurde sie von der Quelle, die aus der Grotte herauslief, durch die Wanne floß und an einer Kehle herablief, die sich in das Gestein gewaschen hatte. Es war für ihn ein herrliches Natursteinbassin, in dem er sich auch schon früher gewaschen und aus dem er Wasser geschöpft hatte. Nur in wenigen, eisigen Wintern war es zuweilen zugefroren. Einmal hatte er erlebt, daß seine Quelle und der stürzende Bach zu einem einzigen Bergkristall gefroren waren. Aber dieser Winter, der der ärgste in den Norlanden gewesen war und schroffe Spuren auf den Shetlands hinterlassen hatte, schien Britannien und seinen Hart Fell offensichtlich verschont zu haben. Oder sollte der Winter noch kommen? Sollte er das Land im Februar mit Schnee und Eis überziehen? Schnee lag auf den umliegenden Bergkuppen und an der Nordseite der Felsklippen taute der Reif den ganzen Tag nicht. Das kannte Myrddin und er setzte sich in das eisige Quellwasser, ließ es für Momente über seine Haut streichen und stand dann auf, rieb sich die Arme und die Brust, setzte sich noch einmal in das Wasser, tauchte diesmal mit seinem Kopf unter und war belebt von der Frische seines rotfarbenen Quells. Er stand auf,

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