Myrddin
… vielleicht, daß sie Mühe anerkennen.“
„Ja, fein … Und dann …? Wozu …?“
„Das ist nur so ein Gefühl, Ganymed. Es ist ein Gefühl von tausend anderen Empfindungen“, sagte Myrddin lächelnd und schwieg.
„Meine Güte, bist du ein Träumer. Bringe du Alex das Sprechen bei – und eines Tages wird er es dir danken, indem er dich wohlakzentuiert einen walisischen Trottel nennt, der die Gegenwart verkennt und sich feige in seine eigenen Träume flüchtet. Das ist die Welt. Und das ist das Los der Menschen“, lachte Ganapathy. „Doch tu mir den Gefallen und denke noch einmal darüber nach, ob du nicht irgend etwas mit den Tieren veranstalten kannst, auch wenn du dich gegen den Gedanken sperrst“, bat der Clown.
Für Myrddin kam ein Auftritt mit seinen Tiere nicht in Frage. Er wolle sie nicht dem Gelächter und Beifall von desinteressierten Menschen aussetzen. Sie reisten nach Bolton, bauten ihr Zelt auf, und Myrddin hatte einen mindesten Eindruck von dem, was er bei dem Errichten des Zeltes tun konnte, ohne nur hinter Raimann stehen zu müssen und seine Hilfe zu erbitten. Er hatte sich die Handgriffe abgeguckt und zu eigen gemacht und war ein vollwertiges Mitglied der Zirkusfamilie geworden, die den Stamm des Ensembles ausmachte. Das Wetter hielt sich freundlich und der Himmel war klar wie selten in England. Die Zuschauer kamen und ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht, da sie keine Erwartungen an den Wanderzirkus hatten.
Bis zur Abschlußvorstellungen spulten sich die Programme wie ein tadellos gewickeltes Garn an. Ganapathy hatte Schwierigkeiten mit seiner Gesundheit, gab aber weder seinem Erblinden noch seiner Herzschwäche nach, da er den Zirkus nicht sterben sehen wollte, bevor er selbst sterben würde. Und wenn es auf allen Plakaten einen Berühmten gibt, der jedoch in der Galerie aller Berühmtheiten nur mit einer Taschenlampe aus den dunklen Kellergewölben herausleuchtete, so versprach der Name Ganymed zumindest eine gewisse Kurzweile. Und die wollte das Publikum haben. Und weil es dafür bezahlte, erkaufte es sich die Zeit des Ganapathy. Es erkaufte sich seine Kraft und seine Lebensmomente. Die Zuschauer hatten Eintrittskarten zu einer Live-Show erworben und wollten Leben leben und Leben sterben sehen – und würde ein Artist von seinem Trapez stürzen, so hatten sie für die Tragödie bezahlt und darüber hinaus einen unerwarteten Nervenkitzel in ihrer Magengegend gehabt. Sie wollte keine perfekten Vorführungen sehen, sondern sich ihrer abnormen Sensationslust in den Pannen erfreuen, die geschehen könnten. Und es war ein billiges Vergnügen. Der berühmte Ganymed, den niemand kannte, sollte auftreten, seine zerdrückte Bierdose an einen Luftballon hängen und den Traum einer unmöglichen Gemeinsamkeit wahr werden lassen, den man nach der Vorstellung wieder platzen ließ, indem man den Luftballon mit einer Stange zerstieß, weil man ihn aus der Kuppel haben wollte, bevor man das Zelt einpacken würde.
Die Ponys tobten aus der Manege und der Clown Ganymed wurde angekündigt. Mit seiner eigenen Erfindung, dem Jo-Jo, das fluoreszierende Funken versprühen konnte, kam Ganymed, der zuvor über Beklemmungsängste in seiner Brust gesprochen hatte. Das Publikum schwieg und verfolgte seinen stillen Auftritt. Auch Jugendliche hatte sich zu der Abendveranstaltung eingefunden, die der Beginn der Vorstellung von Ganymed noch fesselte, die dann aber ihre eigenen Phantasien mit ins Spiel brachten.
Myrddin stand im Artisteneingang und freute sich über Ganapathys Bemühungen. Er freute sich, einen Menschen mit stählerner Disziplin zu sehen, der für die Tiere und sich selbst gegen seinen inneren Gram auftrat. Und er sah, wie Ganymed die Bierdose an den Luftballon band, sein Saxophon nahm und den Luftballon nur schmerzlich losließ, da er gerne der Dritte im Bund von Ballon und Dose gewesen wäre. Dennoch ließ er ihn steigen, und während der Ballon immer höher stieg, blies er in sein Saxophon seine Melancholie, allein bleiben zu müssen. Es war eine wunderschöne, tief nachempfundene Geschichte, die eine Weisheit barg, die die Menschen noch verstehen konnten. Und der Luftballon stieg, als es plötzlich ohrenbetäubend in der Stille krachte.
Es knallte und der Luftballon fiel aus der Luft vor die Füße des Clowns, der seine Melodie spielte, sie abbrach und nicht fassen konnte, daß irgend jemand seinen Ballon zerschossen hatte. Und plötzlich brach ein Lachen in seinem Publikum aus, das
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