Myrddin
Gesicht Raimanns war die Freude gewichen, weil sein Freund meinte, daß der Tod ihn gerufen hätte. So jedenfalls hatte Myrddin es ihm gesagt, und so sollte er es verstehen – wenngleich sich Menschen irren konnten. Doch falls sich Myrddin nicht täuschen sollte, blieb die Frage, wie sich ein lebender Mensch an den Gedanken gewöhnen könnte und wie er sich überhaupt in seine Nähe wagen könnte. Und wie konnte man wirklich seinen Tod voraussehen? Waren es meistens nicht nur die Sehnsüchte der Menschen, die ihnen solche Bilder vorspielten? Und war es wirklich der Tod, den sie sahen, oder nicht vielmehr ihre vergegenständlichte Todessehnsucht, die ihnen begegnete?
Raimann hatte die Unterhaltung mit Myrddin bedrückt. Er wollte jedoch abwarten, was Ganapathy dazu sagen würde. Weshalb sollte er ihm Geld geben, wenn jemand ernsthaft darüber nachdachte, Wölfe nach Schweden zu bringen? So etwas Seltsames hatte er noch nicht gehört und auf so etwas hatte er sich auch noch nie eingelassen. Er ärgerte sich über sein einfältiges Versprechen, das er Myrddin gegeben hatte, und hoffte nur, daß Ganapathy keine Finanzmittel zur Verfügung stellen würde, die ihm das Reisen ermöglichen könnten. Doch der Clown hatte sich verändert. Häufig schien er geistesabwesend zu sein, was sich Raimann durch den desolaten gesundheitlichen Zustand von Ganapathy erklärte, der sich wohl durch die Last der wachsenden Verantwortung auf seinen Schultern nicht verbesserte. Und dennoch hatte er selbst, seitdem er bei dem Shenann Wanderzirkus war, höchstens einmal soviel Geld in den Händen gehabt, um sich bestenfalls in einem Lokal anzutrinken, erinnerte er sich. Noch nicht einmal zum Vollrausch hatte es gereicht.
Raimann folgte Myrddin zu dem aufgestellten Zelt, hatte fürs erste seine Welt zurechtgerückt und wollte die Unterhaltung vergessen. Er wollte sie als vage Aussage eines alten Mannes in die Ferne schieben, wenn er sich auch sehr wohl seines Versprechens erinnerte, das er Myrddin gegeben hatte. Was ihn wie ein Schrecken heimgesucht hatte, verflog während der Arbeit, da die Tribünengestelle geliefert worden waren, die sie noch unter der Zeltplane montieren mußten. Das war eine anstrengende Arbeit, die jeden auf andere Gedanken brachte, zumal es mehr Tribünen waren, als er jemals zuvor zusammensetzen mußte und als er sie sich noch in Bolton gewünscht hätte.
Die Besucher, die zu den ersten Vorstellungen kamen, wollten mit verstohlenen Blicken die Wirkungsstätte des Clowns erleben, in der er am Sonntag auftreten sollte. Sie wollten auch einen Blick auf die Vorbereitungen der Artisten werfen. Die Medien hatten eine Vorankündigung für diese Veranstaltung gebracht, und Northampton war stolz, einen solchen Clown mit seinem Wanderzirkus bei sich in der Stadt begrüßen zu dürfen. Man war nicht nur stolz, eine Berühmtheit eingeladen zu haben, sondern vor allem darauf, daß dieser Clown auch ein Brite war.
Was den Menschen zuvor schmutzig und abgetakelt an dem Wanderzirkus vorgekommen war, war nun die heilige Unordnung eines begnadeten Genies, das bekanntlich Wunderliches um sich herum brauchte, um wirken und schaffen zu können. Was man bei einem durchschnittlichen Menschen nur als einen faulen Apfel erkannte, entdeckte man in der Schublade eines anderen als seine Inspirationsquelle, sobald das gammelige Obst unter der Nase eines künstlerischen Genius lag. So war es mit den Menschen und so war die Rumpelkammer eines Zirkusensembles plötzlich hoffähig geworden, da sie nur die Kulisse und den Rahmen für einen Clown bot, dem außergewöhnliche Fähigkeiten bescheinigt worden waren. Und was durch die Medien getragen in der Öffentlichkeit als Bonbon herumlag, war man gerne zu kosten bereit, sofern es nur die entsprechende Verpackung besaß. Und dieser Zirkus war verpackt und gebettet in Lobreden aller, die sich mit dem Clown Ganymed auseinandergesetzt hatten. Man war noch nicht soweit gegangen, die Familienchronik des Maynard Ganapathy auszugraben, doch weit genug, um den Clown in einem Licht darzustellen, das die Nation brauchte, um von den ständigen Teuerungsraten, dem wirtschaftlichen Ruin und einer politischen Impotenz abzulenken.
Master Anthony Shenann war es recht. Die Werbung schmeichelte ihm, da er sich für den personifizierten Shenann Wanderzirkus hielt, solange niemand hinter den Kulissen die Schuldverschreibungen mit seiner Unterschrift fand. Würde man erst in Bristol sein, hätte man ein größeres Zelt,
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