Myrddin
Boot herum und dachte an die Worte Merlins, der scheinbar gelassen in seinem Boot wie in einer Sänfte saß und das zu Erwartende, das sie den anderen Wölfen verschwiegen hatten, ruhig auf sich zukommen ließ. Melchor war nicht gewohnt, Brüder und Schwestern in die Ungewißheit einer möglichen Katastrophe zu schicken, ohne sie gebührend zu warnen. Und er war es auch nicht gewohnt, ein Unglück heraufzubeschwören und sich selbst seiner Verantwortung zu entziehen. Er hätte es nicht zulassen dürfen. Er haderte mit sich selbst, warf sich ein Versagen als guter Führer vor und warf böse Blicke zu Merlin. Wie konnte er sich von diesem Menschen nur so verführen lassen, fragte er sich.
Hörn ahnte die Stimmung, in der sich Melchor befand, doch es lag ihm fern, sich zwischen ihm und Merlin vermittelnd einzumischen.
Selbstgefällig schmunzelnd saß der Zauberer in seinem Boot, hatte Carus auf seinen Beinen und sprang urplötzlich auf.
„Carus! Raus hier!“ zischte er befehlend. „Lege dich zu Hörn und Pacis! Und du, Melchor … du tust das gleiche! Sofort!“
Melchor war verunsichert und wollte lieber herumlaufen, nervös, wie er war. Dann erst roch er in der Ferne Menschen und begann unwillkürlich die Zähne zu fletschen. Merlin ermahnte ihn abermals – strenger als nötig –, daß er sich augenblicklich zu Hörn legen solle, und sagte dann: „Egal was geschehen wird: ihr bleibt bei Hörn liegen und rührt euch nicht vom Fleck. Keinen Laut will ich von euch hören. Ist das klar?! Jetzt kommen die Menschen.“ Mittlerweile hielt der Seher seinen Eschenstab fest in der rechten Hand.
Merlin hatte recht. In panischer Angst und in rasendem Lauf sahen sie zuerst Akita, dann Samael. Und hinter beiden Wölfen hörten sie durch hochstaubende Schneefahnen Motorengeräusche.
Akita hatte Beute in ihrem Maul. Es waren drei prächtige Fasane, die sie erlegt hatte. Samael, der keinen Atemzug hinter ihr war, stammelte nur: „Da … sie kommen! Wir wurden entdeckt …! Es war eine große Siedlung …!“ Merlin befahl ihnen, sofort zu schweigen und sich zu den anderen zu legen.
Akita warf herzklopfend ihre Beute in das Boot und legte sich als letzte zu Hörn.
Merlin setzte sich ruhig in seinen Schlitten, versteckte die Fasane unter der Decke und hörte die Motoren langsam heranröhren.
Zwei Motorschlitten hoppelten aus dem Morgenlicht über das verschneite Eis und das Bild, das sich den beiden Fahrern bot, wollten sie anfangs nicht glauben. Auf einem kippeligen Schlitten saß ein weißbärtiger Mann mit langen, silberfarbenen Haaren. Vor dem Schlitten lag ein stattlicher Hirsch und um ihn herum lagen Tiere, die sie nicht genau erkennen konnten – doch je näher sie kamen, desto deutlicher wurde es ihnen. Es waren Rentiere. Knatternd fuhren sie auf Merlin zu. Erwartet hätten sie alles, nur keinen alten Mann mit Rentieren vor seinem eigenwilligen Schlitten, der vormittags auf dem Eis weilte, und dies zehn Kilometer vor der Küste von Hersvik. Die Jagd auf die Wölfe, die ein Kind angefallen hatten, war für einen kurzen Moment vergessen.
Es waren zwei Norweger, die ihre Motorschlitten dicht an das Boot von Merlin heranbrachten, die Motoren abstellten und ihn grüßten. Die Technik der Menschen verschlug Merlin die Sprache, was er aber nicht erkennen ließ, und er grüßte freundlich zurück. Die Wölfe lagen ruhig um Hörn, wie Merlin ihnen befohlen hatte. Samael und Akita atmeten schwerer als die anderen und wollten lieber ihre Zähne fletschen und auf die Menschen losspringen, als artig dazuliegen und geschehen zu lassen, was geschehen sollte.
„Alter Mann, was machst du zu so einer unchristlichen Stunde hier draußen auf dem Eis, so ganz allein?“ fragte einer der beiden Männer, die Gewehre geschultert hatten, Merlin.
„Na, guter Mann, was kann man zu dieser Jahreszeit hier draußen wohl machen?“ fragte Merlin geschickt zurück, da er um eine Antwort verlegen war.
„Ich weiß nicht, wenn du es mir nicht sagst. Hmmm, du hast Säcke auf deinem Schlitten, Rentiere und ’nen Hirsch …“, grübelte der Erste, der nicht glauben konnte, was er sagte, als der Zweite ihm ins Wort fiel, damit nicht der Eindruck entstünde, daß sie begriffsstutzig wären.
„Sicherlich ist das irgendein Werbegag von einer Firma, was … alter Mann …“
„Na, wenn du es schon weißt, weshalb fragst du dann noch? Glaubst du, daß es mir Spaß macht … und daß ihr euch über einen alten Mann lustig machen könnt?“
Weitere Kostenlose Bücher