Myrddin
tanzende Säcke fand, zu denen er hinabflog. In ihnen fand er Nüsse und verdorbenes Brot, nachdem er wellenreitend die Säcke geöffnet hatte. Mit lauter Stimme rief er über die See Elwe und Caspar heran, und der Fund bedrückte sie. Einig waren sie darin, daß Myrddin ohne Boot in dieser See keine Überlebenschance haben würde. Voller Sorge schwärmten sie wieder aus, doch konnten sie bis in den kurzen Abend hinein nichts finden – weder das Boot noch zerschellte Planken und schon gar nicht Myrddin.
Die wippenden Wellenkämme erschwerten die Suche, da es für die Blondelfen eine Landschaft voller bewegte Hügel und Täler war, die kaum eine Einsicht gewährten. Auch aus der Höhe hatten sie in der sich ständig verändernden Oberfläche nichts erkennen können, da die Farben wie die Farben ihrer feinsten Webereien ineinander verschwammen.
Sie suchten wie besessen, hatten jedoch keinen Erfolg und kamen zu dem Schluß, das Meer müsse ihn mitsamt seinem Boot verschlugen haben. Die Elfen kannten keine Verzweiflung – aber ihnen war Trauer wohlbekannt und diesen Schmerz konnten sie tiefer als die Menschen empfinden. Abschied war für sie wie das Nicht-ertragen-Können ihrer Anderswelt, und sie flimmerten mit ihren Flügeln über die rabenschwarze Nordsee. Die Trauer in ihnen nahm qualvolle Formen an, und Halvdan hörte wohl ein Frachtschiff, sah seine schwach rotgrüne Lichterführung in der Ferne und die weiß strahlenden Scheinwerfer des Mastes, doch nahm er ihn nicht gebührend wahr.
Die Vanyar quälte die Trauer um Myrddin und sie begannen eine feierliche Ode auf ihn zu sprechen, ein Epos seiner Menschenzeit auf ihn zu singen, als Elwe verstummte. Er konnte ein fernes, hellblau leuchtendes Licht erkennen. Tränen liefen über seine weißen Wangen und ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm.
War es der Kristall, den man Myrddin geschenkt hatte – der Stein des Alnilam? Elwe unterbrach Halvdan und Caspar in ihrem Trauergesang und deutete auf das Licht. Ja, das konnte der Stein sein, und eiligst flogen die drei Elfen über die See und fanden, was sie gesucht hatten: Myrddin und den Stein des Alnilam an seinem Eschenstab.
Vor Freude wußten die Elfen nicht, was sie sagen sollten, und Myrddin lag reglos mit salzverklebten Haaren, geschlossenen Augen und einem Gesicht, das einer Totenmaske glich, in seiner schwankenden HAMAMELIS. Das Boot war halb mit Wasser gefüllt und Myrddin selbst bis zu den Hüften im Wasser. Er hatte den Strick des Bootes um sein Handgelenk geknotet und seinen Kopf an den Vordersteven gelegt.
Die Elfen bemerkten seinen Atem – und Hlavdan hörte das Frachtschiff, dessen Lichter er zuvor gesehen hatte. Er spürte das Schreckliche kommen, und obwohl die beiden anderen Elfen das Maschinengeräusch hörten, dachten sie nur an Myrddin, den sie gesucht und gefunden hatten.
Eine Bugwelle rauschte schäumend durch die Nacht, hielt Kurs Nord-Nordwest, und Schraubengeräusche summten heran, die das Wasser aufschlugen. Die Elfen erkannten die Gefahr, und als würde man über den einzigen Stein in einer Sandwüste fallen, schob sich der Frachter durch das aufgewühlte Wasser der nächtlichen Nordsee. Ein schwarzer Todesbug tauchte zuweilen tiefer in die See und hob sich dann mit gespenstischem Schauder aus den Wellen, rollte durch die Wogenkämme mit giftig zischender Gischt vor seinem Bug auf die HAMAMELIS zu. Mächtig, wie dieses Eisenschiff war, hätte man auf der Brücke noch nicht einmal einen Lauf gehört, würde man die HAMAMELIS mit seinem Stahlsteven zerschlagen.
Die Vanyar schwirrten um Myrddin, zogen an seinen Haaren, schlugen ihm auf die Wangen, hoben die geschlossenen Augenlider, zerrten an seinem Anorak, hoben mit Mühe seine Arme – doch Myrddin war bewußtlos. Er war bewegungsunfähig und ahnte nicht die tödliche Bedrohung, die sich auf ihn zubewegte.
Die Elfen hatten nicht die Kraft, sein Boot aus dem Kurs des Frachters zu ziehen, obwohl sie es mit ihrer äußersten Flügelgewalt versuchten. Sie faßten an den Steven und versuchten, es nur einige Meter über das Wasser zu schieben. Doch es gelang ihnen nicht. Sie rüttelten mit aller Kraft an Myrddin, der nicht erwachen wollte, und die Gischt sprühte schon langsam heran. Die Elfen riefen ihren Schutzbefohlenen an – doch es blieb vergebens.
Ihre Freude war zu Angst geworden und die Geräusche in ihren Ohren klangen berstend kalt. Bis zum letzten Augenblick versuchten sie das drohende Unheil abzuwenden und flogen erst
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