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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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diesem Tag zwischen Weihnachten und Neujahr bei ihm vorbeischauen. Diese beiden Frauen und Irene hielten ihn am Leben und von den mißmutigen Gedanken der Einsiedelei fern.
    So strauchelte Palluck über den unebenen Strand, bückte sich nach dem einen oder anderen Gegenstand, der ihm interessant erschien, sah die Treibnetzschwimmer zwischen den Felsblöcken, die sich in den letzten Stürmen des alten Jahres von den Fischernetzen gerissen haben mußten, und lief weiter mit den Gedanken an das neue Jahr, das nicht anders werden würde als das vergangene. Die schlechten Nachrichten würden sich verdoppeln – sie würden sich potenzieren, dachte er, wie sie es taten, wenn sie einmal begonnen hatten. Und die Probleme unter den Menschen lassen sich nicht lösen, glaubte er, sondern nur vertuschen, bevor sie sich wie ein Krebsgeschwür zu vervielfachen begannen. Es roch nach Fisch, nach zerschlagenen salzigen Muscheln, die man wegen der hohen Schadstoffbelastung nicht mehr essen konnte, und streng stieg ihm der Geruch des Seetangs in die Nase.
    Blasentang platzte unter seinen schweren Stiefeln, als er einen Haufen Fell auf seinem Strand liegen sah. Für seine übernächtigten Augen war der Haufen nicht richtig zu erkennen, da auch der feuchte Nebel dichter geworden war. Aber je näher er kam, desto klarer erkannte er ein totes Tier, das von der schweren See der vergangenen Nacht angespült worden sein mußte. Einmal hatte er einen toten Schweinswal gefunden. Es war ein mächtiger, trauriger Tierkadaver und der größte schwimmende Säuger, den er jemals mit eigenen Augen gesehen hatte. Und je näher Palluck dem Tier kam, desto größer wurde es für ihn – es wurde fast so groß wie ein Mensch. Es hatte überhaupt mehr Ähnlichkeiten mit einem Menschen als mit jedem Tier, das er bisher gesehen hatte, wenn er die Augen zusammenkniff und durch seine Lider blinzelte.
    Skeptisch ging Palluck zu dem Haufen Fell und wollte ihn mit seinem Stiefel umdrehen. Doch das gelang ihm nicht. Der Körper war zu schwer. Das Fell triefte und stank erbärmlich nach Salz und toten Eingeweiden. Es würde ihm an diesem Morgen keine Freude bereiten, Maden in einem aufgedunsenen Leib zu sehen. Im Krieg hatte er sie sehen müssen, und er hatte niemals irgendeinen Geschmack daran gefunden, sich an dem Tod und dem körperlichen Verfall anderer zu weiden.
    Palluck drehte sich um, blickte durch die vernebelte Bucht, konnte aber niemanden sehen. Dann beugte er sich zu dem menschenähnlichen Körper hinab. Instinktiv wollte er das Nackenfell greifen, um das Tier auf den Rücken zu drehen. Doch als er den Körper auf die andere Seite wälzen wollte, zerrte er nur eine Fellkapuze von einem Menschenkopf und richtete sich erschrocken auf. Er wunderte sich und beugte sich erneut hinab. Er sah lange, weiße Haare und ein Gesicht, das seitlich unter der Kapuze auf dem Boden lag. Dann entdeckte er in Fell gehüllte Beine und Arme, wie es Eskimos auf Robbenjagd getan hätten, und er war sich sicher, daß es ein Mensch war. Furcht trieb ihn plötzlich auch dazu, zu prüfen, ob der Mensch noch am Leben war. Und tatsächlich: er atmete. Sollte er ihn mitnehmen oder wie Irene ziehen lassen?
    „Old Jerry … was hast du dir da wieder angelacht. Was sollen wir mit dem Saufbruder tun …?“ fragte er sich, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und zog an seiner Pfeife. Dann nahm er sie aus dem Mund und versuchte, einen brauchbaren Gedanken zu fassen. In der Manteltasche hatte er immer eine flache Feldflasche Whisky für alle Fälle, wie er meinte. Und dies schien einer dieser Fälle zu sein. Er holt seine Flasche heraus und trank einen kräftigen Schluck.
    „Tja, liegenbleiben kannst du hier nicht. Du gehst hier schneller kaputt, als du denkst, alter Freund …“, meinte Palluck und versuchte, Merlin aufzuwecken. Er war der Annahme, daß es entweder ein Trunkenbold sein mußte, der aus Neap oder Laxo kam, oder vielleicht ein Seemann, der über Bord gespült worden sei. Einen Seemann jedoch hatte er sich anders vorgestellt – so erschien ihm das Bild eines Trinkers naheliegender.
    „Komm, Alter … Wach schon auf …“, sagte er ohne Erfolg. Dann griff er ihm wie selbstverständlich unter die Arme, drehte ihn um und sah in das fahle Gesicht von Merlin. Er sah den langen Bart, die geschlossenen Augen und seine ernsten, feingeschnittenen Gesichtszüge.
    „Na, was hat dich denn hier angetrieben, mein Alter? Mußt du mir noch solche Schwierigkeiten machen?“ stöhnte

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