Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
umbringen können?«, fällt Kyle mir ins Wort. »Großartige Idee.«
»Nein«, sage ich. »Sie könnten sie kontrolliert einsetzen. Die Stadt könnte Gesetze erlassen, an die sie sich halten müssen. Manhattan sollte in Zukunft nicht mehr von den Roses und Fosters geführt werden. Das Volk wählt einen Bürgermeister, und zwar einen unabhängigen Bürgermeister. Keinen Handlanger unserer Familien.«
Das ist er, der große Kompromiss. Und es könnte funktionieren – wenn ich Hunter davon überzeuge, dass diese Lösung sinnvoller ist, als uns alle in die Luft zu jagen. Wo ist überhaupt diese Bombe?
Jubel und Rufe von unten und von oben schwellen zu einem ohrenbetäubenden Lärm an.
»Hunter«, sage ich. Ich will gerade einen Schritt auf ihn zumachen, als mir ein höllischer Schmerz durch den Kopf schießt. Es fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren.
Ich taumele und presse die Hände an die Schläfen. Dann spüre ich, wie meine Beine zu zittern beginnen. Mir wird übel und ich breche wimmernd zusammen.
»Aria!«, ruft Turk. »Alles in Ordnung?«
»Was ist mir ihr?«, fragt Kyle. Dann zieht er eine Waffe und richtet sie auf Turk. »Was hast du mit ihr angestellt, Mystiker?«
Da spüre ich auf einmal Hunters Hände auf meinem Rücken. Er nimmt mich in den Arm und hält mich fest. »Tief durchatmen«, sagt er. Mein Puls wird langsamer, das Schwindelgefühl lässt nach und auch das Pochen in meinem Schädel.
Ich lege den Kopf an seine Brust und genieße seine Nähe. Danach habe ich mich gesehnt, seit ich nach Manhattan zurückgekehrt bin. Er riecht nach Schweiß und Rauch, aber das stört mich nicht. Jetzt, da ich in seinen Armen liege, erinnere ich mich plötzlich wieder daran, wie schön es ist, mit ihm zusammen zu sein, und wie anziehend ich ihn finde.
Langsam beugt er sich vor, küsst mich auf die Stirn und dann auf die Augenlider. Zarte, behutsame Küsse, bei denen es mir heiß und kalt den Rücken hinunterläuft.
Die Rufe werden lauter und drängender.
»Du hast Recht«, haucht Hunter mir ins Ohr. Ich öffne die Augen und sehe ihn an. Er ist der schönste Mann, den es auf der Welt gibt. Für mich. »Ich habe mich geirrt«, sagt er. »Diese Menschen sind hergekommen, weil sie an das glauben, was du gesagt hast. Ich hätte von Anfang an auf dich hören sollen. Meine Mutter …« Eine Träne rollt ihm über die Wange. Ich wische sie weg. »… sie hätte niemals Krieg gewollt. Sie hätte meinen Plan verurteilt.« Dann wendet er sich an Kyle und Thomas. »Die Rebellen legen die Waffen nieder. Es wird keine Bombe geben, weder heute noch an einem anderen Tag.« Er sieht mich an und lächelt – ja, zum ersten Mal seit langer Zeit lächelt er wieder richtig. »Im Namen der Mystiker akzeptiere ich die Bedingungen, die Aria vorgeschlagen hat. Was ich getan habe, tut mir aufrichtig leid.«
»Hoffen wir’s«, sagt Thomas. »Eine Bombe? Hast du sie noch alle?« Er seufzt. »Ich wusste doch, dass man einem Mystiker nicht trauen darf.«
Ich nehme Hunters Hand. Ich bin so stolz auf ihn und freue mich für die Bürger von Manhattan.
Kyle sieht keineswegs zufrieden aus, keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Dann lacht er tief und kehlig. »Mir tut gar nichts leid«, sagt er, zieht eine Pistole und zielt auf Hunter. »Gute Nacht, Mystiker!«
Und schießt.
Die Silberkugel verlässt den Lauf.
Ohne nachzudenken, werfe ich mich vor Hunter.
Als sich das Metall in meine Brust bohrt, unterdrücke ich einen Schrei.
26
Einen Moment herrscht Stille.
Die Luft scheint zu gefrieren. Die Welt stillzustehen.
Ich will mir die Brust halten, aber meine Hände sind schwer wie Ziegelsteine.
Kyle steht da, den Arm ausgestreckt, die silberne Pistole auf mich gerichtet. In seinem Gesicht spiegelt sich blankes Entsetzen. Sein blondes Haar weht im Wind.
Ich schaue zu Thomas, dessen Lippen sich langsam bewegen, aber ich kann die Worte kaum verstehen, die sie formen. Alles ist verzerrt.
Ich muss all meine Kraft aufbringen, um mich zu Hunter umzudrehen. Sein Mund formt ein »O«.
Hunter streckt die Hände nach mir aus, aber sie nähern sich mir so langsam, dass es Jahre dauern wird, bis sie mich erreichen. Turk sieht aus, als würde er in Zeitlupe mit ausgestreckten Armen vornüberkippen. Ich könnte nicht entscheiden, wer von beiden unglücklicher aussieht.
Der Lärm der Umgebung ist ausgeblendet, auf der Aussichtsplattform herrschen Stille und weißes Rauschen.
Ich starre auf meine Brust.
Ein dunkler Fleck
Weitere Kostenlose Bücher