Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
sagt Kerry schmunzelnd. »Der Don Juan von Zelt vier. Ein echter Schürzenjäger.« Das Gesicht des jungen Mannes ist fast vollständig verbrannt, er hat nur noch ein Auge, und die vernarbte Haut um Nase und Mund leuchtet rot.
»Danke, Steve«, sage ich. Seine Mundwinkel zucken. Ich glaube, er versucht zu lächeln.
»Wie ist das passiert?«, frage ich, als wir außer Hörweite sind.
»Er ist ein Nichtmystiker, der durch mystisches Feuer verletzt wurde«, sagt Kerry. »Die Rebellen wollten ein Gebäude in den Horsten zerstören, in dem Unterstützer der Fosters wohnten. Aber der Strom war ausgefallen und sie konnten nicht mit einem AP hinauffahren, also haben sie kurzerhand das Erdgeschoss in Brand gesteckt. Steves Vater hatte dort seine Werkstatt …«
»Das ist ja schrecklich!«, entfährt es mir. »Wie konnten die Rebellen so was tun? Ist ein Menschenleben denn gar nichts mehr wert?«
»Steve ist leider nicht das einzige unschuldige Opfer mystischer Magie«, sagt Kerry traurig. »Wir behandeln viele Normalsterbliche hier, die versehentlich zwischen die Fronten geraten sind. Das nennt man dann wohl Kollateralschaden … So ist das eben im Krieg.«
Als alle Becher verteilt sind, bitte ich Kerry um eine Pause, damit ich frische Luft schnappen kann.
»Danke für deine Unterstützung«, sagt sie.
»Nicht der Rede wert«, erwidere ich. »Turk ist derjenige, dem du danken solltest. Er kann den Leuten hier wirklich helfen.«
»Du hast mir den Glauben daran zurückgegeben, dass unser Aufstand einen Sinn hat und dass alles gut ausgehen wird. Das ist mindestens genauso viel wert.« Sie umarmt mich. »Schön, dass ich dich kennenlernen durfte, Aria.«
»Ich bin auch froh, dass ich dich getroffen habe«, sage ich. »Mehr als du dir vielleicht vorstellen kannst.«
Draußen angekommen setze ich mich auf eine Holzbank. Ich lasse den Blick über die vielen Zelte schweifen, in denen Dutzende unschuldige Kriegsopfer wie Steve und Yolie liegen, und spüre unbändige Wut in mir aufsteigen. Unschuldige bezahlen mit ihrem Leben dafür, dass meine Eltern, die Fosters, Hunter und die Rebellen ihr mörderisches Spiel spielen können.
Leute hasten an mir vorbei und starren mich an, meist Schwestern, aber es sind auch einige wenige Mystiker darunter. Viele erkennen mich und stellen sich höflich vor. Andere werfen mir vernichtende Blicke zu oder tun so, als wäre ich unsichtbar – oder noch schlimmer: böse.
»Du Monster!«, schreit mich ein Mädchen an, das etwa in meinem Alter ist. Die Mutter zerrt es weiter. »Selbstsüchtiges Monster!« Für manche bin ich anscheinend das Gesicht des Krieges.
Ich stehe auf, um ihren Blicken nicht länger ausgeliefert zu sein. Selbst ich kann nur eine bestimmte Menge an Feindseligkeit verkraften. Auf dem Platz herrscht immer noch reges Treiben. Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel herab. Da höre ich ein lautes Brummen wie von einem Schwarm Bienen. Neugierig drehe ich mich um.
Vor einem Zelt stehen Männer, Frauen und Kinder in vier Reihen an. Am vorderen Ende steht jeweils ein viereckiger Metallhocker, daneben hat sich eine Schwester mit einer Haarschneidemaschine postiert. Hier also werden den Leuten die Köpfe kahl geschoren.
»Entschuldigung«, sage ich zu dem Mann vor mir. Er trägt eine zerrissene Hose und ein schmutziges braunes Hemd. »Warum wird das gemacht?«
Ohne mich anzusehen, antwortet er: »Ungeziefer.«
»Wie bitte?«
»Ratten. Sie sind überall.« Jetzt dreht er sich doch zu mir um. Falls er mich erkannt hat, lässt er es sich zumindest nicht anmerken. »Ratten. Mäuse. Kakerlaken. Läuse. Eine Zeit lang konnten wir die Biester mit mystischer Energie in Schach halten. Aber jetzt wimmelt es in der Tiefe von ihnen. Lass dir lieber auch den Kopf rasieren, bevor du Läuse kriegst.«
Sofort beginnt mein Kopf zu jucken.
»Aria!«, ruft jemand hinter mir. Ich drehe mich um. Es ist Turk. »Hast du gesehen, was da drinnen los war?« Er zeigt mir stolz seine Hände. »Ich bin ein Heiler-Ninja! Der krasseste Zauberer, den die Welt je gesehen hat.«
»Du bist echt ein Spinner«, sage ich.
Er streckt mir die Zunge heraus. »Mit Spinnern kennst du dich ja bestimmt aus. Können wir los?«
»Nein.« Ich rücke in der Schlange vor.
»Wieso nicht? Willst du etwa hier einziehen?«, fragt Turk halb im Scherz. »Ich kann mir vorstellen, wie ätzend es ist, sich mit Shannon ein Zimmer zu teilen, aber glaub mir, das ist immer noch besser, als in einem dieser Zelte zu
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