Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
spritzt nur so und die Jeans, die ich mir von Shannon geborgt habe, wird am Saum klitschnass. »Ich dachte, wenn wir schon mal hier sind, können wir auch was Gutes tun«, sagt er.
»Und das wäre?«
»Das wirst du schon noch früh genug erfahren.«
»Du magst es, andere Leute auf die Folter zu spannen, oder? Als ich dich gestern Abend nach deinen magischen Fähigkeiten gefragt habe, bist du mir auch ausgewichen.«
»Ach, wirklich?«
»Willst du es nicht sagen? Ist es ein Geheimnis?«
»Also, wenn du darauf bestehst: Ich bin ein Heiler«, antwortet er.
»Ich dachte, alle Mystiker hätten diese Gabe.«
»Manche mehr als andere«, sagt Turk. »Und zu denen gehöre ich. Wenn du also je verletzt wirst, wende dich vertrauensvoll an mich.«
Seine Zurückhaltung überrascht mich. Aber ich will ihn nicht bedrängen. Also erzähle ich ihm, dass Frieda mich beschworen hat, Davidas Herz zu suchen. Seit dem Brand gehen mir ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf. Woher wusste sie, was Davida zugestoßen ist? Hat sie einfach nur senil dahergeredet oder ergeben ihre Worte einen Sinn? Und hat sie den Überfall überlebt?
Turk umkurvt mit ein paar rasanten Schlenkern mehrere baufällige Mietskasernen. Wir lassen das frühere Rockefeller Center hinter uns. Es hat sich in einen Haufen Trümmer verwandelt. Bald nähern wir uns einem viereckigen Landstück, einer Art Miniaturinsel, die von schmalen Kanälen umgeben ist. Metallstege ragen ins braune Wasser und schaukeln auf und ab; offenbar haben sie sich aus ihren Betonfundamenten gelöst. Auf der Insel stehen etwa zwanzig Zelte. Im Hintergrund flimmern Werbespots über einen Riesenbildschirm, dazwischen sind immer wieder Bilder von Hunter und mir zu sehen – wie überall in der Tiefe.
»Madison Square Park«, sagt Turk und breitet die Arme aus. Selbst nach der wilden Fahrt steht sein Iro noch wie eine Eins. Meine Haare hingegen sind total platt gedrückt, als ich den Helm abnehme. Ich fahre mit den Fingern hindurch, um sie wieder in Form zu bringen, doch am Ende stehen sie einfach nur wüst in alle Himmelsrichtungen ab. Hätte ich bloß einen Hut …
Hier im Lager ist eine Menge los. Leute eilen hin und her und unterhalten sich, andere transportieren Infusionsbeutel, Wasserflaschen und Tabletts mit Operationsbesteck.
»Das ist eine Art Sanitätszentrum«, erklärt Turk. »Hier können sich die Armen behandeln lassen. Fast alle Krankenhäuser in der Tiefe wurden von deinen Eltern und den Fosters zerbombt, deshalb gibt es nur noch diese provisorischen Lazarette.« Turk nimmt die Sonnenbrille ab und stopft sie in eine seiner Taschen. »Mystiker werden ebenso aufgenommen wie Nichtmystiker. Es ist eine Krankenstation für alle, wenn du so willst. Komm!«
Turk legt einen Arm um mich und führt mich mitten ins Gewimmel. Eine Frau im Alter meiner Mutter ruft: »Turk!«, als sie uns entdeckt. Sie hat die Arme voller Handtücher und Verbände. »Ich würde dich ja umarmen, wenn ich die Hände frei hätte.«
»Warte, ich helfe dir, Nancy.« Turk nimmt ihr die Verbände ab. »Wo sollen die hin?«
»Da entlang.« Sie deutet auf die Zelte. »Und schnell. Wir haben einen Bluter.«
Sie eilt mit Turk davon und ich bemühe mich Schritt zu halten. Turk blickt über die Schulter und lächelt mich an. »Komm schon, Schnarchnase!«
Der Anblick, der sich mir im Inneren des Zeltes bietet, versetzt mir einen Schock: mehrere Reihen von Feldbetten, dazwischen so wenig Platz, dass man sich kaum fortbewegen kann. Irgendwo schreit ein Baby, ältere Kinder kann ich jedoch nicht entdecken. Es gibt nur zwei Ventilatoren für knapp hundert Menschen, deshalb herrscht eine unerträgliche Hitze.
»Beeilung!«, sagt Nancy und führt uns durchs Zelt. Andere Frauen – Krankenschwestern? – kommen und gehen, bringen den Patienten Getränke und Essen. Alle tragen weiße Hauben, weiße Latexhandschuhe und einen weißen Mundschutz.
»Damit wir uns nicht anstecken«, sagt Nancy, die meinen fragenden Blick bemerkt hat. »Du bist Aria Rose, nicht wahr?«
Ich nicke. »Freut mich, dich kennenzulernen, Nancy.«
»Ganz meinerseits.«
Im hinteren Teil des Zeltes angekommen, quetscht sich Nancy zwischen zwei Reihen aus Stockbetten hindurch. In einem der Betten liegt ein Mann Ende zwanzig. Sein Haar ist kurz geschoren, das Gesicht schmerzverzerrt.
Aus seinem Schenkel ragt ein Stahlkeil. Auf dem weißen Laken hat sich ein großer Blutfleck gebildet.
Nancy reicht mir die Handtücher. »Das wird jetzt ein bisschen
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