Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
Tümpeln und die mit Efeu überwucherte Eisenbrücke. Geblieben sind ein paar Felsen, die als einziges Überbleibsel der Zerstörung auf einmal fehl am Platz wirken. Und hinter den Felsen steht Belvedere Castle.
Ich erinnere mich daran, wie ich es zum ersten Mal gesehen habe. Ziemlich verfallen, hat Hunter gesagt. Nicht ganz ungefährlich. Aber ich komme manchmal her, um nachzudenken. Jetzt hältst du mich bestimmt für blöd.
Ich hielt ihn nicht für blöd, schon gar nicht an jenem Abend, als ich mich in ihn verliebt habe – zum zweiten Mal, obwohl ich es nicht wusste. Und jetzt stehe ich vor der verwüsteten Fassade des Schlosses. Die grauen Steinmauern stehen noch, doch wo einmal Bogenfenster waren, klaffen nun große Löcher, und der Turm hat seine Kegelspitze verloren.
»Ein Wunder, dass es noch steht«, sagt eine Stimme hinter mir. Kyle.
Ich drehe mich zu meinem Bruder um. Mit seinem hellblonden Haar hat er sich schon immer auch äußerlich vom Rest unserer Familie abgehoben, wir anderen sind alle dunkelhaarig und haben einen olivfarbenen Teint. Seine grünen Augen funkeln vor Hass; seine Haut ist so blass, als würde er nie einen Schritt vor die Tür gehen. Als Kind hat er immer sofort einen Sonnenbrand bekommen. Deshalb hat ihn unser Dienstmädchen Magdalena jeden Morgen vor der Schule mit Sonnencreme eingecremt.
»Ein Wunder, nach allem, was wir hier angerichtet haben.« Kyle lächelt, als wäre er stolz auf die Verwüstungen. »Keine Mystiker mehr weit und breit«, fügt er hinzu.
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. »Ja, ihr habt es ihnen richtig gezeigt.«
Kyle blinzelt in der grellen Sonne. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, das weiße Hemd am Kragen aufgeknöpft. Über seiner Schulter baumelt eine braune Tasche. Ein rundes weißes Pflaster klebt an seiner Schläfe – vermutlich ein mystisches Kühlpflaster. Das erklärt, weshalb er nicht schwitzt.
»Du wirkst … verändert«, sagt er und mustert argwöhnisch meine Baseballkappe.
»Du wirst es nicht glauben, aber ich habe mich verändert«, erwidere ich so ungerührt wie möglich. Ich zeige auf das Pflaster an seiner Stirn. »Schon werkwürdig, wie jemand die Mystiker so sehr hassen, aber gleichzeitig so viel Nutzen aus ihren Fähigkeiten ziehen kann.«
Kyle schüttelt den Kopf. »Da irrst du dich. Ich hasse Mystiker nicht.«
»Aber du …«
»Mystiker haben ihren Platz in der Gesellschaft«, sagt Kyle. »Und wir haben unseren. Ich mag es nur nicht, wenn die Ordnung, die meine Eltern und Großeltern errichtet haben, durch Leute wie dich und deinen Mystikerfreund zerstört wird.«
Sein künstliches Lachen verunsichert mich. »Bist du noch auf Stic?«, frage ich.
»Ach, deshalb triffst du dich mit mir – um über Partydrogen zu diskutieren?«
»Es ist mir egal, was du in deiner Freizeit treibst. Auch wenn du mein Bruder bist, bedeutest du mir nichts. Du hast mich an unsere Eltern verkauft. Deinetwegen bin ich beinahe draufgegangen …«
»Umgekehrt wird ein Schuh draus, Schwesterchen: Du hast uns verraten!« Kyles Wangen röten sich und eine Ader tritt an seiner Stirn hervor. »Du hast keine Ahnung, was du mir und unseren Eltern angetan hast.« Er holt ein paarmal tief Luft. »Du hast viele Fehler begangen, aber die können dir verziehen werden, weil Liebe dich blind gemacht hat. Durch eine öffentliche Erklärung in den Medien können wir dich rehabilitieren: Du wurdest von den Rebellen benutzt, sie haben dich einer Gehirnwäsche unterzogen. Du hast nicht gewusst, was du tust …«
»Das wäre gelogen!«
Kyle seufzt. »Wen interessiert das schon? Es geht doch nur darum, was die Leute glauben. Außerdem gibt es vieles, was du noch nicht weißt.«
»Aber ich weiß, dass nicht die Mystiker den Anschlag am Muttertag verübt haben«, entgegne ich scharf. »Man hat ihnen dieses Verbrechen angehängt, um einen Vorwand zu haben, ihre Kräfte abzuschöpfen. Das war auch das Werk von Elissa Genevieve, die immer noch für … unseren Vater arbeitet.« Ich bin so wütend, dass ich nicht einmal »Dad« sagen kann.
Kyle nickt. »Elissa Genevieve hat erkannt, dass ihre eigenen Leute Verbrecher sind. Deshalb hat sie sich von ihnen losgesagt und sich einen Platz bei den Roses gesichert.«
»Elissa Genevieve ist eine Verräterin und eine Lügnerin. Noch arbeitet sie für euch, aber sie würde euch jederzeit im Stich lassen, wenn es ihr nützt.«
»Wie auch immer – kommst du jetzt mit oder nicht?«
»Versprich mir erst, dass die
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