Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
extrahiert.«
»Extrahiert?«, frage ich schockiert. Das habe ich nicht erwartet.
»Ich habe Ihre Erinnerungen in einem Speichermedaillon verborgen.« Er nimmt es vorsichtig vom Schreibtisch. »Davon gibt es auf der Welt nur wenige Stücke. Speichermedaillons werden aus reinem Damaszenersilber gefertigt und mit mystischer Energie aufgeladen.«
»Aber weshalb haben Sie sich gegen meine Familie gestellt?«, frage ich.
Benedict seufzt tief. »Viele Jahre lang habe ich auf der Seite Ihres Vaters gestanden. Deshalb haben mich meine Leute als Verräter betrachtet. Ihr Vater hat mich in dem Chaos nach dem Großen Feuer vor einem Lynchmob gerettet. Deshalb stand ich in seiner Schuld. Erst als sich abzeichnete, dass Violet Brooks bei der Wahl kandidieren und sogar gewinnen könnte, habe ich erneut die Seiten gewechselt.« Er winkt ab. »Ein Verräter, der noch mal zum Verräter wird. Ich habe Violets Abschöpfung nur vorgetäuscht: Obwohl sie registriert wurde, ist sie im Vollbesitz ihrer mystischen Kräfte.« Beschwörend blickt er mich an. »Davon darf niemand etwas erfahren.«
»Aber … Violet wirkt so, als wäre sie abgeschöpft.«
»Sie hat mit ein bisschen Make-up nachgeholfen«, erklärt Benedict. »Deshalb wirkt sie so kränklich. Die Menschen sehen doch immer nur das, was sie sehen wollen. Das sollten Sie doch am besten wissen. Jetzt sind Sie an der Reihe.«
Patrick Benedict ist ganz anders, als der äußere Schein vermuten lässt. Obwohl er nicht an die Abschöpfungen glaubt, unternimmt er nichts dagegen, gehorcht meinem Vater und träumt einstweilen von einer Zukunft, in der er den Horsten nicht mehr dienen muss. Am Tag der Wahl könnte sein Wunsch wahr werden. In dieser Hinsicht ähnelt er Elissa. Doch ihre Persönlichkeiten könnten unterschiedlicher nicht sein: Sie ist warmherzig, Benedict rau und in sich gekehrt. Doch beide setzen sich insgeheim für eine bessere Gesellschaft ein.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sage ich. »Ich habe Ihnen Unrecht getan.«
»Ist vergeben«, erwidert Benedict mit einem Schulterzucken. »Jetzt kennen wir beide die Wahrheit.« Er lässt das Medaillon in meine Hand fallen. »Gehen Sie jetzt. Sonst wird Ihre Mutter misstrauisch.«
»Wie öffne ich das Medaillon?«, frage ich. »Ich habe nach einem Verschluss gesucht, aber es hat keinen.«
Energisch schüttelt Benedict den Kopf. »Es ist nicht möglich es zu öffnen.«
»Aber wie …«
»Sie müssen es herunterschlucken«, sagt Benedict.
Das klingt so seltsam, dass mir keine Antwort einfällt.
»Die Zeit ist reif«, sagt Benedict. »Heute Abend, wenn Sie allein sind, schlucken Sie das Medaillon. Die Erinnerungen, die darin gespeichert sind, werden dann freigegeben und von Ihrem Körper absorbiert. Aber vergessen Sie eins nicht: Sobald Sie es geschluckt haben, gibt es kein Zurück mehr. Sie werden sich an alles erinnern, was Sie verloren haben.«
Ich will ihn gerade bitten, mir das zu erklären, als es klopft. Benedict drückt auf den Schalter an seinem Schreibtisch. In der Tür stehen meine Mutter und Elissa.
»Aria!«, ruft meine Mutter. »Du kannst doch Patrick nicht von der Arbeit abhalten.« Sie kommt zu mir und schiebt ihren Arm unter meinen. »Elissa hatte eine wunderbare Idee: Du könntest mit Thomas in den Flitterwochen nach Bali fliegen! Dort war ich noch nie.«
»Es ist traumhaft dort«, flötet Elissa.
Meine Mutter spitzt den Mund. »Eine Insel würde mir gefallen. Tut mir leid, dass Aria Sie gestört hat. Aria hatte nur ihre Ohrringe vergessen. Hast du sie jetzt gefunden, Liebes?«
»Nein«, entschuldige ich mich. »Ich habe nachgesehen, aber … wahrscheinlich habe ich sie schon mit nach Hause genommen.«
Meine Mutter verdreht die Augen. »Ach, Aria.« Sie lächelt Benedict an. »Sie würde auch noch ihren Kopf verlieren, wenn er nicht angewachsen wäre. Komm, gehen wir.« Mom zieht mich sanft mit sich. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, wiederhole ich. Benedict hat wieder hinter seinem Schreibtisch Platz genommen, aber Elissa verhält sich merkwürdig. Sie starrt mir nach, bis meine Mutter und ich im Fahrstuhl stehen und sich die Türen schließen.
Der Rest des Tages verläuft hektisch. Zuerst folgt die letzte Anprobe meines Hochzeitskleides. Das weiße Oberteil, das mit Kristallen und Diamanten aus Afrika bestickt ist, schließt sich fest um meinen Brustkorb, fast wie ein Korsett. Die gekreuzte Schnürung im Rücken ist einfach göttlich. Nach unten wallt der Stoff bis zum Boden
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