Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
mitten im Satz. »Ja?«
»Können wir heute vielleicht kurz bei Dad im Büro vorbeischauen?«
Sie sieht mich verständnislos an. »Und weshalb?«
»Mir ist gerade eingefallen«, fabuliere ich spontan, »dass ich die Ohrringe, die Kiki mir geschenkt hat, in meinem Schreibtisch habe liegen lassen.«
»Ich schicke jemanden, der sie abholt«, erwidert sie.
»Die Schublade hat ein Sicherheitsschloss.«
»Dann gibst du mir eben schnell den Code.« Sie wirft Thomas einen argwöhnischen Blick zu.
»Das System arbeitet mit Fingerabdruckscanner«, bluffe ich. Meine Mutter weiß bestimmt nicht, dass die Schubladen im Büro alle unverschlossen sind. Hoffentlich. »Ich möchte die Ohrringe beim Essen nach der Hochzeitsprobe tragen. Sie passen so wunderbar zu dem Kleid, das ich ausgesucht habe. Weißt du, das smaragdgrüne mit dem Samtsaum?«
Meine Mutter schnalzt leise mit der Zunge. »Das Kleid ist wundervoll …« Sie denkt kurz nach und taxiert mich. »Sind dir die Ohrringe so wichtig?«
»Ja«, sage ich und nicke heftig. »Sie sind total chic.«
Wenn es um Kleidung oder Schmuck geht, kann meine Mutter nicht Nein sagen. »Also gut.«
Ich kann kaum einen Seufzer unterdrücken. Solange meine Mutter Wachhund spielt, habe ich keine Chance. Ich muss sie im Büro irgendwie abhängen.
»Na, dann los«, sagt sie und küsst Thomas auf die Wange. »Bis später.« Sie wendet sich mir zu. »Aria, heute Mittag haben wir noch eine Anprobe für dein Kleid. Und ich möchte nicht zu spät kommen.«
Im Bürogebäude meines Vaters verlassen wir den Fahrstuhl in dem Stockwerk, in dem ich vorher gearbeitet habe. Ich werfe einen schaudernden Blick zu der Edelstahltür hinüber, hinter der ich Zeuge einer Abschöpfung wurde. Auf der anderen Seite des Flurs ist Patrick Benedicts Büro. Sicherlich sitzt er jetzt dort.
»Wo ist dein Schreibtisch?«, fragt meine Mutter.
»Oh, mein Arbeitsbereich war da drüben.« Ich zögere und sage dann: »Warte bitte mal kurz hier, ich muss zur Toilette.«
Mom stemmt die Hände in die Hüften. »Na, dann mach schon.«
»Äh, ja. Klar.« Ich rühre mich nicht.
»Worauf wartest du denn noch?«
Plötzlich erscheint wie aus dem Nichts meine Rettung: Elissa Genevieve. »Aria!«, ruft sie mit einem herzlichen Lächeln. »Melinda, schön Sie zu sehen.«
Meine Mutter begutachtet stumm den eleganten Schnitt von Elissas blauem Rock, die Bluse und die Saphirkette. Sie ist beeindruckt.
»Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagt Elissa.
»Stimmt«, antwortet meine Mutter. »Wie geht es Ihnen?«
Ich flehe Elissa mit den Augen an und sie begreift sofort.
»Ich wollte gerade zur Toilette«, sage ich.
Sofort verwickelt sie meine Mutter in ein Gespräch. Sie lobt ihre wertvolle Perlenkette und fragt, wer ihr Friseur sei. Ab jetzt habe ich etwa zehn Minuten. Ich gehe direkt zu Benedicts Büro und klopfe.
»Wer ist da?«
»Aria«, flüstere ich.
Leise öffnet sich die automatische Tür und schließt sich sofort hinter mir. Benedict sitzt an seinem Schreibtisch, die Hände auf der Mahagoniplatte. »Hallo.« So freundlich hat er noch nie mit mir gesprochen.
Ohne ein Wort öffne ich meine Handtasche, hole Zettel und Medaillon heraus und lege beides vor ihm auf den Tisch. Zu meinem Erstaunen ist er weder überrascht noch verwirrt. Er mustert alles kurz, seine Miene verrät keinerlei Gefühlsregung.
»Ich habe schon mit Ihnen gerechnet.«
Mein Herz setzt einen Schlag aus. »Tatsächlich?«
»Ja«, sagt er, ohne den Blick abzuwenden. »Wir haben nicht viel Zeit. Sicherlich sind Sie in Begleitung hier?«
»Mit meiner Mutter. Sie plaudert gerade mit Elissa.«
»Das Wichtigste zuerst.« Er steht auf und geht um den Schreibtisch herum. Er tritt ganz nah zu mir hin. »Niemand darf erfahren, dass ich die Behandlung gestern sabotiert habe.«
»Wie lange soll ich mich noch verstellen?«, frage ich kopfschüttelnd. »Ich kann Thomas nicht heiraten. Ich kann es einfach nicht.«
Benedict räuspert sich. »Für solche Sentimentalitäten haben wir keine Zeit. Hören Sie zu: Ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich gehöre zu den Rebellen.«
»Aber wenn Sie im Geheimen für die Rebellen arbeiten … warum haben Sie dann beim ersten Mal geholfen, mein Gedächtnis zu manipulieren?«
Seine Miene verdüstert sich. »Mir blieb keine andere Wahl. Um meine Tarnung aufrechtzuerhalten, muss ich die Befehle Ihres Vaters ausführen. Vor der Behandlung habe ich jedoch die Erinnerungen, die Ihre Eltern löschen wollten,
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