Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
deine Eltern aufgenommen haben, war ich so glücklich, dass ich geschworen habe, meine Identität auch weiterhin geheim zu halten. Und wir zwei haben uns so gut verstanden, dass ich dich nicht enttäuschen wollte. In den letzten Jahren hatte ich wenig Kontakt zu meiner Familie, doch vor einigen Wochen bekam ich einen Brief, in dem stand, dass meine Mutter im Sterben liegt. Sie kann sich keinen Arzt leisten, also habe ich ihr Lebensmittel und Medikamente gebracht.«
Mir bleibt fast das Herz stehen. »Das tut mir leid.«
»Ich bin trotzdem immer noch die Davida, die du kennst«, sagt sie und schaut mich mit treuen Augen an. »Ich hatte Angst, du würdest mich hassen, wenn du die Wahrheit über mich erführest. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht anlügen, aber du und dein Bruder und deine Eltern, ihr seid für mich so etwas wie eine Familie. Ich hatte Angst, ihr würdet mich rauswerfen.«
Schon will ich sagen: Wir alle haben dich gern, daran kann nichts auf der Welt etwas ändern. Aber ich schweige, denn ich weiß, es wird anders kommen. Wenn meine Eltern von Davidas Geheimnis erfahren, werden sie sagen, Davida habe sie ausgenutzt. Man wird sie ihrer mystischen Kräfte berauben und sie auf die Straße setzen. Vielleicht kommt sie ja sogar ins Gefängnis.
Davida kniet vor mir. »Hasst du mich jetzt? Bitte, sag, dass du mir verzeihst!« Ihre Stimme bricht und sie beginnt zu weinen. Ich greife zum Nachttisch hinüber und reiche ihr ein Taschentuch.
»Natürlich hasse ich dich nicht«, erwidere ich. »Es tut mir leid, dass du deine Herkunft vor mir verbergen musstest. Von nun an soll es keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben. Und ich werde dir helfen, so gut ich kann.«
Davida trocknet sich die Augen. »Ich habe dich lieb, Aria, das weißt du doch, oder? Es steht mir bestimmt nicht zu, so etwas zu sagen, aber …«
»Was sich gehört und was nicht, ist mir egal. Ich habe dich auch lieb«, sage ich.
Sie umarmt mich und drückt mich fest.
»Ich werde meinen Eltern nichts verraten«, verspreche ich.
Zurück in meinem Zimmer, entledige ich mich sofort meiner verschwitzten Kleidung und gehe unter die Dusche. Ich kämme das nasse Haar mit den Fingern durch und binde es mit einem Gummi zusammen. Dann ziehe ich ein Nachthemd über. Meine Mutter hat es mir letztes Jahr aus Paris mitgebracht, es ist aus blauer Seide mit Spitzen.
Gerade will ich mich in meine dünne Sommerdecke wickeln, als ich ein Klopfen am Fenster höre. Der Wind, denke ich, aber das Klopfen wiederholt sich, und zwar nachdrücklicher.
Ich ziehe die Gardine zurück. Draußen steht ein Schattenriss vor dem Nachthimmel, Hunter.
Ich blinzele. Träume ich?
Doch als ich die Augen wieder öffne, ist er immer noch da, lächelt mich an und deutet auf den Riegel der Balkontür. Ich mache auf und schiebe die Glastüren auseinander. Sofort schlägt mir warme Luft entgegen.
»Was machst du hier?«, flüstere ich schroff. »Bist du verrückt?«
»Ich wollte dich sehen«, sagt er und greift mit beiden Händen nach der Fensterbank, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Und ein bisschen verrückt bin ich natürlich auch. Aber nicht so arg, dass du nicht damit klarkommen könntest. Warum bist du abgehauen?«
Ich blicke nervös zur Tür. »Du weckst noch jemanden auf. Hier ist bestimmt keiner begeistert, wenn vor meinem Fenster ein Mystiker herumschleicht.«
Hunter hält die Hände hoch. »Ich schleiche nicht rum. Du hast mir die Balkontür aufgemacht. So was gilt als Einladung oder seh ich das falsch?«
»Das siehst du leider vollkommen falsch«, erwidere ich.
»Pass auf«, sagt Hunter. »Ich muss dir was erklären. Lass mich einfach ein paar Minuten mit dir reden, dann verschwinde ich. Versprochen.«
Ich bin verblüfft, wie vertraut er mir schon ist. »Gut.« Ich krempele die Ärmel meines Nachthemds hoch. »Ein paar Minuten. Mehr nicht.«
»Danke.« Er hebt den Saum seines T-Shirts und fächelt sich damit Luft zu. »Verflucht, ist das heiß.« Dabei erhasche ich einen Blick auf seine gebräunte Haut und seinen Waschbrettbauch. Er hält mir die Hand hin, und ich erlaube ihm, mich auf den Balkon hinauszuziehen.
»Die Zeit läuft. Beeil dich.«
»Hier möchte ich nicht reden«, sagt er. »Man könnte uns belauschen.«
Von hier aus hat man einen gigantischen Ausblick auf die Stadt. Das Netz der Hochseilbrücken und Arkaden zwischen den Häusern ist in das farbig pulsierende Licht der Mystikertürme getaucht. Der Himmel ist schwarzblau. Die Wolken
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