Mystic River
mehrfachen sexuellen Missbrauch in New York gestanden und behauptete, noch ein paar in Massachusetts und Vermont begangen zu haben. Er erhängte sich in der Zelle, bevor er Genaueres erzählen konnte. Aber ich hab ihn anhand der Skizze wiedererkannt, die der eine Polizist bei uns in der Küche gemalt hat.«
»Bist du dir sicher?«
Seans Vater nickte. »Hundertprozentig. Der ermittelnde Beamte, wie hieß er noch, ähm …«
»Flynn«, sagte Sean.
Sein Vater nickte. »Mike Flynn. Genau. Ich hab ein bisschen Kontakt zu ihm gehalten, weißt du. Und als ich das Bild in der Zeitung sah, hab ich ihn angerufen, und er meinte, ja, es wäre der Kerl gewesen. Dave hätte es bestätigt.«
»Welchen haben sie geschnappt?«
»Hm?«
»Welchen der beiden?«
»Ach. Der, ähm, wie hast du ihn noch mal beschrieben? Der Fettige, der müde aussah.«
Seans Kinderworte wirkten seltsam aus dem Mund seines Vaters. »Der Beifahrer.«
»Ja.«
»Und sein Komplize?«, fragte Sean.
Sein Vater schüttelte den Kopf. »Starb bei einem Verkehrsunfall. Behauptete jedenfalls der andere. Das ist alles, was ich weiß, aber ich würde nicht allzu viel darauf geben, was ich weiß. Junge, du musstest mir ja sogar erzählen, dass Tim Marcus tot ist.«
Sean trank sein Glas aus und zeigte auf das leere seines Vaters. »Noch eins?«
Sein Vater betrachtete sein Glas eine Weile. »Was soll’s. Ja.«
Als Sean mit zwei neuen Bieren von der Theke kam, schaute sein Vater Jeopardy, das ohne Ton im Fernseher hinter der Theke lief. Sean nahm Platz und sein Vater sagte zum Fernseher gewandt: »Wer ist Robert Oppenheimer?«
»Woher weißt du, ob du Recht hast, ohne Ton?«, fragte Sean.
»Weiß ich halt«, gab sein Vater zurück und goss sich mit einem Stirnrunzeln über Seans dumme Frage das Bier ein. »Das macht ihr jungen Leute ständig. Werd ich nie verstehen.«
»Was tun wir? Welche jungen Leute?«
Sein Vater zeigte mit der Bierflasche auf ihn. »Leute in deinem Alter. Ihr stellt ständig Fragen, ohne drüber nachzudenken, dass sich die Antwort vielleicht von selbst ergibt, wenn ihr nur mal eure grauen Zellen benutzt.«
»Aha«, sagte Sean. »Verstehe.«
»Wie diese Sache mit Dave Boyle«, fuhr sein Vater fort. »Wozu ist das wichtig, was vor fünfundzwanzig Jahren mit Dave passiert ist? Du weißt, was passiert ist. Er war vier Tage lang mit zwei Kinderschändern verschwunden. Es passierte genau das, was du dir vorstellst, das passiert ist. Aber du wühlst das wieder alles auf, weil …« Sein Vater nahm einen Schluck. »Was weiß ich, warum.«
Sein Vater lächelte ihn benebelt an und Sean lächelte zurück.
»Hey, Dad?«
»Ja?«
»Willst du mir erzählen, dass in deinem Leben nie was passiert ist, über das du oft nachdenkst, das du dir immer wieder durch den Kopf gehen lässt?«
Sein Vater seufzte. »Darum geht’s nicht.«
»Doch.«
»Nein. Jeder erlebt irgendeine Scheiße, Sean. Jeder. Du bist nichts Besonderes. Aber deine ganze Generation, ihr müsst einfach immer wieder darin herumstochern. Ihr könnt es einfach nicht gut sein lassen. Hast du Beweise, die Dave mit dem Tod von Katherine Marcus in Verbindung bringen?«
Sean lachte. Der Alte hatte ihn von der Seite angegriffen, hatte ihn mit seinem Gequatsche über »deine Generation« eingelullt, obwohl er die ganze Zeit nur daran interessiert war, was Dave mit Katies Tod zu tun hatte.
»Sagen wir mal, es gibt ein paar Umstände, die nahe legen, Dave im Auge zu behalten.«
»Soll das ‘ne Antwort sein?«
»Soll das ‘ne Frage sein?«
Das wunderbare Lächeln seines Vaters breitete sich über sein Gesicht aus und machte ihn gut fünfzehn Jahre jünger und Sean erinnerte sich, wie dieses Lächeln das ganze Haus erfüllen und alles erhellen konnte, als er klein war.
»Und deshalb nervst du mich mit Dave, weil du wissen willst, ob das, was ihm diese Männer angetan haben, ihn zu einem Mann macht, der ein junges Mädchen umbringt?«
Sean zuckte mit den Schultern. »So ähnlich.«
Eine Zeit lang dachte sein Vater darüber nach, rührte in den Erdnüssen in der Schale vor sich herum und trank sein Bier. »Ich glaube nicht.«
Sean schmunzelte. »Du kennst ihn ja so gut, nicht wahr?«
»Nein. Ich kann mich nur an ihn als Kind erinnern. Er war nicht der Typ für so was.«
»Viele liebe Kinder werden später Erwachsene, die unglaubliche Scheiße bauen.«
Sein Vater zog die Augenbraue hoch. »Willst du mir was über die Natur des Menschen erzählen?«
Sean schüttelte den Kopf. »Nur
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