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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Laufe der Jahre eine mythische Bedeutung erlangt, jedoch nie stattgefunden hatten.
    Sein Vater war ein Mann des Schweigens und der Sätze, die plötzlich abbrachen, und den größten Teil seines Lebens hatte Sean damit verbracht, dieses Schweigen zu deuten, die von diesen Auslassungen entstandenen Lücken zu füllen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was sein Vater sagen wollte. Und in letzter Zeit fragte sich Sean, ob er selbst überhaupt seine Sätze zu Ende führte, wie er sich einbildete, oder ob auch er ein Mensch des Schweigens war, wie auch Lauren es gewesen war, ohne dass er jemals etwas dagegen getan hätte, bis Schweigen das Einzige war, das ihm noch von ihr geblieben war. Das und das Rauschen in der Leitung, wenn sie anrief.
    »Warum erkundigst du dich jetzt danach?«, fragte sein Vater schließlich.
    »Weißt du, dass die Tochter von Jimmy Marcus ermordet wurde?«
    Sein Vater schaute ihn an. »Das Mädchen im Pen-Park?«
    Sean nickte.
    »Ich hab den Namen gelesen«, sagte sein Vater, »und mir gedacht, sie wären vielleicht verwandt, aber seine Tochter?«
    »Ja.«
    »Er ist in deinem Alter. Und er hat eine neunzehnjährige Tochter?«
    »Jimmy war, keine Ahnung, siebzehn oder so, als sie geboren wurde, ein paar Jahre, bevor er nach Deer Island kam.«
    »O Gott«, stöhnte sein Vater. »Das arme Schwein. Ist sein Vater noch im Knast?«
    »Er ist tot, Dad«, erwiderte Sean.
    Sean merkte, dass diese Antwort seinem Vater wehtat, ihn in die Küche in die Gannon Street zurückversetzte, wo er und Jimmys Vater sich an jenen Samstagnachmittagen ihrer Bierseligkeit hingegeben hatten und ihr donnerndes Gelächter nach draußen geschallt war, wo ihre Söhne auf dem Hinterhof spielten.
    »Scheiße«, fluchte sein Vater. »Ist er wenigstens draußen gestorben?«
    Sean wollte lügen, aber da hatte er schon den Kopf geschüttelt. »Nein, drinnen. In Walpole. Leberzirrhose.«
    »Wann?«
    »Nicht lange, nachdem ihr weggezogen seid. Vor ungefähr sechs, vielleicht sieben Jahren.«
    Sein Vater öffnete den Mund und sagte tonlos: »Sieben.« Er trank einen Schluck Bier und im gelben Licht der Lampe wirkten die Altersflecken auf seinen Händen noch größer. »Man verliert sich so schnell aus den Augen. Verliert Zeit.«
    »Es tut mir Leid, Dad.«
    Sein Vater verzog das Gesicht. Das war die einzige Reaktion auf Mitleid oder Respektsbezeugungen. »Warum? Du bist doch nicht dafür verantwortlich. Mensch, Tim hat sich selbst erledigt, als er Sonny Todd umbrachte.«
    »Bei einem Billardspiel, stimmt’s?«
    Sein Vater zuckte mit den Schultern. »Waren beide besoffen. Wer weiß das schon noch? Waren beide besoffen, hatten beide ein großes Maul und immer schlechte Laune. Nur dass Tims Laune ein ganzes Stück schlechter war als Sonny Todds.« Seans Vater nahm noch einen Schluck. »Und was hat Dave Boyles Entführung mit – wie hieß sie noch gleich, Katherine? – Katherine Marcus zu tun?«
    »Ja, so hieß sie.«
    »Was hat nun das eine mit dem anderen zu tun?«
    »Das hab ich doch gar nicht behauptet!«
    »Aber auch nicht bestritten.«
    Sean musste grinsen. Man konnte ihm jeden Tag einen hartgesottenen Nachwuchsgangster ins Kabuff setzen, einen Typen, der sich als Anwalt aufspielte, der das System besser kannte als die Richter, Sean würde ihn kleinkriegen. Aber bekam man einen von diesen alten Hasen, von diesen knüppelharten, argwöhnischen Hunden aus der Generation seines Vaters – stolze Malocher ohne jeden Respekt vor staatlichen oder städtischen Einrichtungen –, die konnte man die ganze Nacht bearbeiten: Wenn sie nichts sagen wollten, dann saß man am nächsten Morgen noch immer mit denselben unbeantworteten Fragen da.
    »Hey, Dad, lass uns erst mal nicht über irgendeinen Zusammenhang nachdenken.«
    »Warum nicht?«
    Sean hob die Hand. »Bitte, tu mir einfach den Gefallen!«
    »Na, sicher, deshalb leb ich ja noch, damit ich meinem eigenen Sohn einen Gefallen tun kann.«
    Sean merkte, dass sein Vater das Glas in seiner Hand fester umfasste. »Ich hab mir die Akte über Daves Entführung angesehen. Der ermittelnde Beamte ist tot. Sonst erinnert sich keiner an den Fall, dabei ist er noch immer nicht gelöst.«
    »Und?«
    »Ich weiß noch, dass du ungefähr ein Jahr nach Daves Rückkehr in mein Zimmer gekommen bist und gesagt hast: ›Es ist vorbei. Sie haben die Männer. ‹«
    Sein Vater zuckte mit den Achseln. »Sie hatten einen von ihnen geschnappt. In Albany. Ich hab das Bild in der Zeitung gesehen. Der Mann hatte

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