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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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zeigen. Sean musste noch immer grinsen, wenn er an den Artikel dachte, der zwei Tage vor Laurens Auszug angekommen war – »In Vitro ist in« –, denn seine Eltern hatten nie kapiert, dass Sean und Laurens Kinderlosigkeit durchaus gewollt war, ein Ergebnis ihrer beider (wenn auch nie thematisierten) Angst, schreckliche Eltern zu sein.
    Als Lauren schließlich schwanger geworden war, hatten sie es vor seinen Eltern geheim gehalten und sich stattdessen überlegt, ob sie das Kind überhaupt bekommen sollten, weil ihre Ehe zusehends zerfiel. Dann fand Sean heraus, dass sie eine Affäre mit einem Schauspieler gehabt hatte, ausgerechnet mit einem Schauspieler, und wurde misstrauisch: »Von wem ist das Kind, Lauren?« Und Lauren hatte geantwortet: »Mach doch einen Vaterschaftstest, wenn du es unbedingt wissen willst!«
    Sie hatten die gemeinsamen Abendessen mit seinen Eltern eingestellt, Ausreden erfunden, warum sie nicht zu Hause waren, wenn seine Eltern in die Stadt kamen, und Sean spürte, dass die Befürchtung, das Kind sei nicht von ihm, und die große Angst, es womöglich nicht zu wollen, auch wenn es seins wäre, seinen Schädel zu sprengen drohte.
    Seit Lauren fort war, bezeichnete Seans Mutter ihre Abwesenheit nur mit den Worten »eine Auszeit nehmen«. Die Zeitungsausschnitte waren nun ausschließlich für Lauren bestimmt, nicht für ihn, als würden sie eines Tages aus der Schublade quellen, so dass er und Lauren sich wieder zusammenraufen müssten, nur damit die Schublade endlich wieder zugehen würde.
    »Hast du in letzter Zeit mit ihr gesprochen?«, fragte Seans Vater aus der Küche. Sein Gesicht war hinter der mintgrünen Wand verborgen.
    »Lauren?«
    »Hm.«
    »Na, mit wem sonst?«, antwortete seine Mutter fröhlich, während sie die Schublade des Schranks durchsuchte.
    »Sie ruft an. Sagt aber nichts.«
    »Vielleicht macht sie bloß Smalltalk, weil sie …«
    »Nein. Dad, ich meine, sie sagt gar nichts.«
    »Nichts?«
    »Nein.«
    »Woher weißt du dann, dass sie es ist?«
    »Ich weiß es einfach.«
    »Aber woher? «
    »Mensch«, erwiderte Sean. »Ich höre sie atmen. Reicht das?«
    »Wie seltsam«, bemerkte seine Mutter. »Sagst du denn was, Sean?«
    »Manchmal. Immer seltener.«
    »Na, wenigstens habt ihr überhaupt Kontakt«, meinte seine Mutter und legte ihm den neuesten Ausschnitt vor. »Sag ihr, ich sei der Meinung, das hier war vielleicht interessant für sie.« Seine Mutter setzte sich und strich mit beiden Handrücken eine Falte in der Tischdecke glatt. »Wenn sie zurückkommt«, fügte sie hinzu und betrachtete die Falte, die sich unter ihren Händen glättete.
    »Wenn sie zurückkommt«, wiederholte sie mit flüsternder Stimme, der Stimme einer Nonne, die von der unumstößlichen Ordnung der Dinge überzeugt ist.
     
    »Dave Boyle«, sagte Sean eine Stunde später zu seinem Vater, als sie an einem der großen Tische im Ground Round saßen. »Damals, als er vor unserem Haus verschwand.«
    Seans Vater runzelte die Stirn und konzentrierte sich darauf, den Rest aus einer Bierflasche in sein beschlagenes Glas zu gießen. Als der Schaum den Rand des Glases erreicht hatte und nur noch dicke Tropfen aus der Flasche kamen, fragte sein Vater: »Wie? Konntest du das nicht in alten Zeitungen nachlesen?«
    »Ähm …«
    »Warum fragst du mich? Junge, das kam doch sogar im Fernsehen!«
    »Aber nichts darüber, dass der Entführer gefunden wurde«, sagte Sean in der Hoffnung, dass es reichen würde, um seinen Vater zu überzeugen, nicht weiter nachzuhaken, warum er ihn danach fragte, denn Sean war bis jetzt keine vernünftige Begründung eingefallen.
    Sean hoffte, dass sein Vater ihm eine Beziehung zu dem Ereignis vermitteln konnte, dass ihm sein Vater vielleicht dabei half, seine eigene damalige Rolle bei dem Ereignis zu begreifen, was Zeitungen und alte Akten nicht vermochten. Und möglicherweise hoffte er, mit seinem Vater einmal über etwas anderes als nur die Meldungen des Tages zu reden oder dass die Ersatzbank der Red Sox dringend einen Linkshänder brauchte.
    Sean hatte bisweilen den Eindruck, dass sein Vater und er irgendwann einmal über mehr als nur Nebensächlichkeiten gesprochen hatten (so wie Lauren und er es auch getan zu haben schienen), aber so sehr er sich auch bemühte, Sean fiel nicht ein, worüber sie geredet haben könnten. Er fürchtete, eine innige Beziehung zu seinem Vater und Augenblicke ehrlichen Austauschs im Nebel der Erinnerung nur erfunden zu haben, Augenblicke, die zwar im

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