Mystic River
dafür, dass sie den Abendmahlskelch klauen.«
»Den Abendmahlskelch?«, wiederholte sie und verspürte den Drang, ihm mit der Hand durchs Haar zu fahren. Der ganze furchtbare Tag verschwand hinter diesem albernen Gespräch. »Das wusste ich nicht.«
»Oh, doch. Riesenprobleme«, bekräftigte Dave und leerte sein Bier, während James Woods und der eine von den Baldwins mit einem total breiten Mädchen in einem Pickup eine leere Straße entlangrasten, die Vampire hinter ihnen her. »Wo warst du?«
»Ich hab das Kleid zu Reed gebracht.«
»Das war doch schon vor Stunden«, wandte Dave ein.
»Und dann hatte ich das Gefühl, ich müsste mich mal hinsetzen und nachdenken. Verstehst du?«
»Nachdenken«, sagte Dave. »Klar.« Er stand auf und ging an den Kühlschrank in der Küche. »Auch eins?«
Eigentlich wollte sie keins, aber sie sagte: »Ja, gut.«
Dave kam zurück und reichte ihr das Bier. Eigentlich wusste sie, dass er gute Laune hatte. Das erkannte sie daran, dass er ihr die Dose aufgemacht hatte. Das tat er immer, wenn es ihm gut ging. Trotzdem war sie nicht sicher, ob es diesmal ein gutes Zeichen war. Sie konnte seine Stimmung im Moment nicht einschätzen.
»Und, worüber hast du nachgedacht?« Er ließ den Verschluss seines Bieres ploppen und das Geräusch übertönte die quietschenden Reifen im Fernsehen, als sich der Pickup überschlug.
»Das weißt du doch.«
»Eigentlich nicht, Celeste, nein.«
»Über Verschiedenes«, sagte sie und trank einen Schluck. »Über den Tag, darüber, dass Katie tot ist, über den armen Jimmy und Annabeth, darüber.«
»Darüber«, wiederholte Dave. »Weißt du, über was ich nachgedacht habe, als ich mit Michael zu Fuß nach Hause gegangen bin, Celeste? Ich hab gedacht, wie peinlich es für ihn sein muss, zu hören, dass seine Mutter einfach losgefahren ist und keinem gesagt hat, wo sie hinwill oder wann sie zurückkommt. Darüber hab ich eine Menge nachgedacht.«
»Ich hab’s doch gerade erklärt, Dave.«
»Was erklärt?« Er schaute zu ihr hoch und lächelte wieder, aber jetzt sah er nicht jungenhaft aus. »Was hast du mir erklärt, Celeste?«
»Ich hatte das Gefühl, nachdenken zu müssen. Tut mir Leid, dass ich nicht angerufen habe. Aber das waren ein paar ganz schön harte Tage. Ich bin nicht mehr ich selbst.«
»Niemand ist mehr er selbst.«
»Was?«
»Wie in dem Film hier«, sagte er. »Keiner weiß, wer die echten Menschen und wer die Vampire sind. Ich hab den teilweise schon mal gesehen, ja, und dieser eine von den Baldwins da, der verliebt sich in die blonde Frau, obwohl er weiß, dass sie gebissen worden ist. Die wird also ein Vampir werden, aber das ist ihm egal, verstehst du? Weil er sie liebt. Obwohl sie ein Blutsauger ist. Sie wird auch sein Blut saugen und ihn zu einem Untoten machen. Ich meine, darum geht’s doch bei diesen Vampiren, Celeste – irgendwas an denen ist geil. Obwohl man weiß, dass man daran stirbt und die Seele auf Ewigkeit verdammt ist, man die ganze Zeit anderen in den Hals beißen muss und sich vor der Sonne und den Schlägertruppen des Vatikans verstecken muss. Vielleicht wacht man irgendwann auf und kann sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, ein Mensch zu sein. Und wenn es so weit ist, ist es in Ordnung. Man wurde vergiftet, aber so schlimm ist das gar nicht, wenn man erst mal gelernt hat, damit zu leben.« Dave legte die Füße auf den Couchtisch und trank einen großen Schluck. »Ist jedenfalls meine Meinung.«
Celeste blieb ganz still auf der Armlehne der Couch sitzen und blickte auf ihren Mann hinunter. »Dave, was redest du da für einen Schwachsinn?«
»Vampire, Schätzchen. Werwölfe.«
»Werwölfe? Du spinnst doch!«
»Ach ja? Du glaubst, dass ich Katie umgebracht habe, Celeste. So spinnen wir momentan rum.«
»Ich hab nicht … Wie kommst du denn auf so was?«
Er knibbelte mit dem Fingernagel am Dosenverschluss herum. »Bei Jimmy in der Küche konntest du mir kaum in die Augen gucken, als du gegangen bist. Du hast das Kleid gehalten, als würde sie noch drinstecken, und du konntest mir nicht in die Augen gucken. Da hab ich drüber nachgedacht. Ich hab mich gefragt, warum könnte sich meine eigene Frau von mir abgestoßen fühlen? Und dann bin ich drauf gekommen: Sean. Er hat dir irgendwas erzählt, stimmt’s? Er und sein ätzender, schräger Kollege haben dir Fragen gestellt.«
»Nein.«
»Nein? Schwachsinn!«
Ihr gefiel nicht, dass er so ruhig war. Sie schob es teilweise aufs Bier, da Dave immer
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