Mystic River
sehen, ob sie etwas sagte, wenn er den ersten Schritt tat.
»Der Junge da drin ist einfach zu cool«, meinte Whitey. »Der sitzt zum ersten Mal da und schwitzt noch nicht mal!«
»Sarge«, antwortete Sean, »es sieht nicht gut aus, weißt du das?«
»Quatsch!«
»Nein, ich meine, selbst wenn sie uns das Auto nicht um die Ohren schlagen, es ist nicht das Blut von der kleinen Marcus. Es gibt nichts, was ihn damit in Verbindung bringt.«
Whitey sah zur Tür des Vernehmungszimmers hinüber. »Ich krieg ihn klein.«
»Er hat uns eben vorgeführt«, gab Sean zu bedenken.
»Ich bin noch nicht mal warm gelaufen.«
Aber Sean sah es seinem Gesicht an: Er hatte Zweifel. Whiteys Intuition begann zu bröckeln. Seans Chef mochte vielleicht stur und gemein sein, wenn er sich im Recht fühlte, aber er war zu klug, um sich an einem Anfangsverdacht festzuklammern, wenn der sich nicht halten ließ.
»Pass auf!«, sagte Sean. »Wir lassen ihn da drinnen noch ein bisschen schwitzen.«
»Er schwitzt nicht.«
»Fängt vielleicht an, wenn wir ihm Zeit zum Nachdenken geben.«
Whitey sah die Tür an, als wollte er sie niederbrennen. »Vielleicht.«
»Ich glaube, es ist die Waffe«, meinte Sean. »Die Waffe bringt uns weiter.«
Whitey kaute auf seiner Lippe herum und nickte schließlich. »Wäre gut, mehr über die Pistole zu erfahren. Übernimmst du das?«
»Immer noch derselbe Besitzer?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Whitey. »Die Akte war von 1982, der Besitzer damals ein gewisser Lowell Looney.«
Sean musste grinsen. »Hört sich klasse an, oder?«
»Warum fährst du nicht mal rüber?«, schlug Whitey vor.
»Ich guck mir das Arschloch da drinnen noch ein bisschen durch die Scheibe an, mal sehen, ob er anfängt, von toten Mädchen im Park zu singen.«
Lowell Looney war ungefähr achtzig Jahre alt und sah aus, als könne er Sean im Hundert-Meter-Lauf schlagen. Er trug ein orangefarbenes T-Shirt von Porter’s Gym, eine blaue Jogginghose mit weißem Seitenstreifen und brandneue Reeboks und er bewegte sich, als würde er die höchste Flasche hinter der Theke mit einem Sprung herunterholen, wenn man ihn darum bat.
»Genau da!«, sagte er zu Sean und zeigte auf eine Reihe Viertelliterflaschen hinter der Theke. »Durchschlug eine Flasche und blieb in der Wand stecken.«
»Gruselig, was?«, meinte Sean.
Der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gruseliger als Sesamstra ß e. Aber nicht so gruselig wie manche Nächte hier. Vor zehn Jahren hat mir so ein durchgeknallter Junge die Knarre ins Gesicht gehalten, der hatte diesen abgedrehten Blick drauf, blinzelte ständig, weil ihm der Schweiß in die Augen lief. Das war gruselig, Mann. Aber die Typen, die die Kugel in die Wand geschossen haben, das waren Profis. Mit Profis kann ich umgehen. Die wollen einfach nur das Geld, die kotzt nicht die ganze Welt an.«
»Und diese beiden Typen …?«
»Kamen durch die Hintertür«, erklärte Lowell Looney und düste ans andere Ende der Theke, wo ein schwarzer Vorhang das Lager verdeckte. »Da hinten ist eine Tür, die auf die Laderampe führt. Damals arbeitete bei mir so ‘n Bürschchen als Aushilfe, der den Müll wegbrachte und sich eine anzündete, wenn er draußen war. Jedes zweite Mal hat der vergessen, die Tür zuzuschließen, wenn er wieder reinkam. Entweder wusste er Bescheid oder die beiden hatten ihn so lange beobachtet, bis sie gemerkt hatten, dass er gehirnamputiert war. An dem Abend kamen sie durch die unverschlossene Tür, gaben einen Warnschuss ab, damit ich nicht zu meiner Pistole griff, und nahmen mit, was sie haben wollten.«
»Um wie viel haben die Sie erleichtert?«
»Sechs Riesen.«
»Ganz schön viel Wechselgeld«, bemerkte Sean.
»Donnerstags«, erklärte Lowell, »hab ich früher immer die Gehaltsschecks von den Kunden eingelöst. Heute mach ich das nicht mehr, aber damals war ich so blöd. Wenn die Ganoven ein bisschen cleverer gewesen wären, hätten sie mich morgens überfallen, bevor ich das ganze Bargeld gegen die Schecks eingelöst hatte.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich hab zwar behauptet, es wären Profis gewesen, aber nicht gerade die allerhellsten, schätze ich mal.«
»Wie hieß der Junge, der die Tür offen ließ?«, hakte Sean nach.
»Marvin Ellis«, sagte Lowell. »Scheiße, vielleicht war der irgendwie beteiligt. Hab ihn am nächsten Tag rausgeschmissen. Die Sache ist bloß, dass die nur aus einem Grund den Schuss abgegeben haben, weil sie nämlich wussten, dass ich das
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