Mystic River
Eisen unter dem Tresen hatte. Und das war nicht allgemein bekannt damals, also muss es ihnen entweder Marvin gesteckt haben, oder einer von denen hat hier mal gearbeitet.«
»Und das haben Sie damals auch der Polizei erzählt?«
»Ja, klar.« Der Alte winkte ab. »Die sind meine alten Akten durchgegangen und haben alle vernommen, die hier mal gearbeitet haben. Behaupteten sie jedenfalls. Verhaftet haben sie nie einen. Sie sagten eben, dieselbe Waffe sei bei einem anderen Verbrechen benutzt worden?«
»Ja«, bestätigte Sean. »Mr. Looney …«
»Lowell, Herrgott noch mal, bitte.«
»Lowell«, sagte Sean, »haben Sie noch Ihre alten Akten?«
Überzeugt, dass Sean und sein Kollege ihn beobachteten, starrte Dave das Spiegelglas des Vernehmungszimmers an.
Gut.
Wie läuft’s denn? Ich genieße gerade diese Sprite. Was ist da noch mal drin? Zitrone. Richtig. Ich genieße den Zitronensprudel, Sergeant. Mmmm, lecker. Ja, Euer Ehren. Am liebsten hätte ich sofort noch eine.
Dave saß am langen Vernehmungstisch, stierte in den Spiegel und fühlte sich klasse. Sicher, er wusste nicht, wo Celeste mit Michael hin war, und die Ahnungslosigkeit wurde von einer Furcht begleitet, die seinen Kopf viel stärker vernebelte als die zirka fünfzehn Bier, die er letzte Nacht gezischt hatte. Aber sie würde zurückkommen. Er meinte sich vage zu erinnern, ihr gestern möglicherweise Angst eingejagt zu haben. Mit Sicherheit hatte sein Gequatsche nicht viel Sinn ergeben, von wegen Vampire und solche Sachen, die sich in einen fraßen und nicht wieder herauskommen konnten, vielleicht hatte sie es ein bisschen mit der Angst zu tun gekriegt.
Er gab ihr ja keine Schuld. Es war wirklich sein Fehler, dem Jungen die Kontrolle überlassen und zugelassen zu haben, dass man sein hässliches, wildes Gesicht sah.
Doch abgesehen davon, dass Celeste und Michael weg waren, fühlte er sich stark. Er spürte nichts mehr von der Unentschlossenheit, die er in den letzten Tagen empfunden hatte. Mensch, er hatte gestern sogar sechs Stunden geschlafen! Als er aufgewacht war, hatte er sich verbraucht und pelzig im Mund gefühlt, sein Schädel war schwer wie Granit, aber irgendwie klar gewesen.
Er wusste, wer er war. Und er wusste, dass er richtig gehandelt hatte. Jemanden zu töten (Dave konnte dem Jungen jetzt nicht mehr die Schuld geben; er war es, Dave, er hatte getötet) hatte ihm Macht verliehen, nachdem er klar im Kopf geworden war. Er hatte mal von alten Völkern gehört, die die Herzen der Menschen aßen, die sie töteten. Sie aßen die Herzen und nahmen die Toten dadurch in sich auf. Es verlieh ihnen Macht, die Macht von zwei Seelen, den Geist von zwei Menschen. So fühlte sich Dave. Nein, er hatte kein Herz gegessen. So kaputt war er nun auch wieder nicht. Aber er hatte die Macht des Raubtieres gespürt. Er hatte getötet. Und er hatte es richtig gemacht. Und er hatte das Monster in sich beruhigt, diesen Perversen, der sich danach sehnte, die Hand eines kleinen Jungen zu berühren und in seiner Umarmung dahinzuschmelzen.
Dieser Perverse hatte sich verpisst, Mann. War mit Daves Opfer zur Hölle gefahren. Indem er jemanden tötete, hatte er das Schwache in sich ausgemerzt, diesen Perversen, der seit seinem elften Lebensjahr in ihm gewartet, am Fenster gestanden und nach unten auf die Rester Street geschaut hatte, wo zu Ehren seiner Rückkehr eine große Party gefeiert worden war. Er hatte sich so schwach, so verletzlich auf der Party gefühlt. Er hatte gemeint, man würde sich heimlich über ihn lustig machen; Eltern lächelten ihn voller Falschheit an, und hinter ihren offiziellen Mienen sah er, dass sie ihn heimlich bemitleideten, Angst vor ihm hatten und ihn hassten. Er war weggelaufen, nur um diesem Hass zu entkommen und sich nicht mehr wie ein Haufen Scheiße zu fühlen.
Aber jetzt würde ihn der Hass eines anderen stark machen, weil er jetzt ein neues Geheimnis hatte, das besser als sein altes, peinliches Geheimnis war, das die meisten sowieso zu erraten schienen. Jetzt hatte er ein Geheimnis, das ihn groß machte, nicht klein.
Kommt näher, wollte er nun am liebsten sagen, ich hab ein Geheimnis. Noch näher, dann flüstere ich es euch ins Ohr:
Ich habe jemanden getötet.
Dave blickte dem fetten Bullen hinter dem Spiegelglas in die Augen:
Ich habe jemanden getötet. Und du kannst es nicht beweisen.
Wer ist hier der Schwächling?
Sean fand Whitey in dem Raum auf der anderen Seite des Spiegelglases, von wo man ins
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