Mystic River
nie Kinder gewollt. Abgesehen davon, dass man im Flugzeug früher einsteigen durfte, fiel ihm kein weiterer Grund ein, warum man sich welche anschaffen sollte. Sie bestimmten dein Leben und machten dich ängstlich und müde. Dabei taten die Leute immer so, als wäre es ein Segen, Kinder zu haben. Sie redeten in einem ehrfürchtigen Ton von Kindern, der früher Göttern vorbehalten gewesen war. Aber wenn man es nüchtern betrachtete, dann musste man zugeben, dass die ganzen Arschlöcher, die einen auf der Autobahn schnitten, die über die Straße liefen, in Kneipen herumkrakeelten, die Musik zu laut aufdrehten, Leute beraubten und vergewaltigten und einem Montagsautos verkauften, dass all diese Arschlöcher nichts anderes als in die Jahre gekommene Kinder waren. Keine Götter. Von wegen heilig.
Außerdem wusste er ja noch nicht mal, ob es seins war. Einen Vaterschaftstest hatte er nie machen lassen, weil sein Stolz ihm sagte: Scheiß drauf. Muss ich einen Test machen, um zu beweisen, dass ich Vater bin? Konnte es etwas Entwürdigenderes geben? Ähm, entschuldigen Sie, aber ich müsste mal etwas Blut abgezapft bekommen, weil meine Frau mit einem anderen gebumst hat und jetzt schwanger ist.
Scheiß drauf! Ja, sie fehlte ihm. Ja, er liebte sie. Und ja, er hatte geträumt, sein Kind im Arm zu halten. Na und? Lauren hatte ihn betrogen, dann hatte sie ihn verlassen und das Kind ohne ihn bekommen. Trotzdem hatte sie sich nicht bei ihm entschuldigt. Trotzdem hatte sie nie gesagt: Sean, ich hab mich geirrt. Es tut mir Leid, dass ich dir wehgetan hab.
Hatte Sean ihr auch wehgetan? Nun, ja, sicher. Als er Wind von der Affäre bekommen hatte, war er kurz davor gewesen, sie zu schlagen, hatte die Faust im letzten Moment zurückgezogen und in die Hosentasche geschoben, aber Lauren hatte die Bereitschaft in seinen Augen gesehen. Und wie er sie beschimpft hatte. O Gott.
Aber trotzdem: Er hatte immerhin irgendeine Reaktion gezeigt, auch wenn er sie nur von sich gestoßen hatte. Ihm war unrecht getan worden. Nicht ihr.
Oder? Er dachte noch mal kurz darüber nach. Doch.
Er schob die Nummer zurück ins Portemonnaie, schloss die Augen und döste auf dem Stuhl ein. Schritte auf dem Flur weckten ihn und er schlug die Augen auf, als Whitey ins Büro walzte. Sean sah den Alkohol in seinen Augen, bevor er ihn in seinem Atem roch. Whitey ließ sich auf seinen Stuhl fallen, legte die Füße auf den Tisch und kickte den Karton zur Seite, den Connolly am frühen Nachmittag vorbeigebracht hatte.
»Scheißlanger Tag«, stellte er fest.
»Habt ihr ihn?«
»Boyle?« Whitey schüttelte den Kopf. »Nein. Der Vermieter sagt, er hätte ihn gegen drei gehen hören, war aber nicht zurückgekommen. Meinte, die Frau und das Kind hätte er auch schon länger nicht gesehen. Wir haben auf seiner Arbeit angerufen. Er arbeitet nur von Mittwoch bis Sonntag, da war er also auch nicht.« Whitey rülpste. »Taucht schon wieder auf.«
»Was ist mit der Patrone?«
»Haben eine beim Last Drop gefunden. Das Problem ist, dass sie in einen Metallpfosten einschlug, nachdem sie den Typen durchlöchert hatte. Die Ballistiker meinen, sie können sie vielleicht identifizieren, vielleicht aber auch nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Und Harris?«
»Hat einen Anwalt kommen lassen.«
»Ach, wirklich?«
Sean trat an Whiteys Tisch und kramte im Karton herum. »Keine Fußabdrücke«, sagte er. »Die Fingerabdrücke gehören niemanden, den wir in der Kartei haben, die Pistole wurde zum letzten Mal bei einem Überfall vor achtzehn Jahren benutzt. Ich meine, was soll das alles?« Er ließ den Ballistikbericht wieder in den Karton sinken. »Der Einzige ohne Alibi ist der Einzige, den ich nicht verdächtige.«
»Geh nach Hause!«, sagte Whitey. »Echt!«
»Jaja.« Sean nahm die Kassette der Notrufzentrale aus der Schachtel.
»Was ist das?«, wollte Whitey wissen.
»Snoop Doggy Dog.«
»Ich dachte, der war tot.«
»Dann ist es Tupac Shakur.«
»Die kann ich nicht auseinander halten.«
Sean schob die Kassette in den Rekorder auf seinem Tisch und schaltete ihn ein.
»Notrufzentrale. Aus welchem Grund rufen Sie an?«
Whitey spannte ein Gummiband und zielte auf den Ventilator unter der Decke.
»Da steht so ein Auto mit ganz viel Blut drin und, Ähm, die Tür ist auf und, ähm …«
»Wo steht dieses Auto?«
»In den Flats. Beim Pen-Park. Ich und mein Freund haben’s gefunden.«
»Hat die Straße auch einen Namen?«
Whitey gähnte in seine Faust und griff nach
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