Mystic River
Arsch ist? Weil du Schönheit nicht ertragen kannst? Weil ich damals nicht mit eingestiegen bin? Warum? Sag’s mir, Dave. Mehr will ich gar nicht wissen. Dann lass ich dich leben.«
»Spinnst du?«, rief Val. »Jimmy! Nein! Los! Du hast Mitleid mit diesem Haufen Dreck? Hör zu …«
»Halt’s Maul, Val!«, herrschte ihn Jimmy an und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ich hab dir damals eine einwandfrei laufende Maschine überlassen, als ich in den Knast ging, und du hast sie vor die Wand gefahren! Alles hab ich dir gegeben, aber du kannst nichts anderes, als mit den Fäusten schwingen und beschissene Drogen verkaufen! Mach du mir keine Vorschriften, Val! Komm bloß nicht auf die Idee!«
Val drehte sich weg, trat gegen die Sträucher, sprach leise mit sich selbst.
»Erzähl es mir, Dave! Aber komm mir nicht wieder mit dem Kinderschänder-Wichs, den will ich heute Abend nicht mehr hören. Verstanden? Erzähl mir die Wahrheit! Wenn du wieder anfängst herumzulügen, reiß ich dir den Arsch auf!«
Jimmy atmete schwer. Er hielt Dave das Messer vors Gesicht, ließ es sinken und schob es zwischen Gürtel und Hose. Er streckte die leeren Hände aus. »Dave, ich schenk dir dein Leben. Erzähl mir nur, warum du sie umgebracht hast! Du wanderst in den Knast. Da mach ich dir nichts vor. Aber du kannst leben. Du kannst atmen.«
Dave war so erleichtert, dass er Gott laut danken wollte. Er wollte Jimmy umarmen. Vor einer halben Minute hatte ihn noch die schwärzeste Verzweiflung niedergedrückt. Er hatte auf die Knie fallen und Jimmy anflehen wollen: Lass mich nicht sterben! Ich bin noch nicht bereit. Ich bin noch nicht zum Abschied bereit. Ich weiß nicht, was da im Jenseits auf mich wartet. Ich glaub nicht, dass ich in den Himmel komme. Ich glaub nicht, dass es hell sein wird. Ich glaub, dass es dunkel und kalt sein wird in diesem endlosen Tunnel des Nichts. So kalt und dunkel wie hinter dem Loch in deinem Planeten, Jim. Und ich will nicht allein sein im Nichts, im jahrelangen Nichts, im jahrhundertelangen kalten, kalten Nichts, durch das nur mein einsames Herz schwebt, allein, allein, allein.
Jetzt konnte er weiterleben. Wenn er log. Wenn er die Kröte schluckte und Jimmy erzählte, was er hören wollte. Er würde beschimpft werden. Wahrscheinlich würde er geschlagen werden. Aber er würde weiterleben. Das las er in Jimmys Augen. Jimmy log nicht. Vor Dave stand jetzt lediglich ein Mann mit einem Messer, der einen Schlussstrich ziehen wollte, ein Mann, der unter der Last der Ungewissheit zusammenbrach, der um seine Tochter trauerte, die er nie wieder berühren würde.
Ich komme zu dir nach Hause, Celeste. Ich werde dir ein schönes Leben bieten. Versprochen. Und dann verspreche ich dir auch, nicht mehr zu lügen. Keine Geheimnisse mehr vor dir zu haben. Aber ich glaube, ich muss jetzt zum allerletzten Mal lügen, die schlimmste Lüge meines Lügenlebens erzählen, denn ich kann Jimmy das dunkelste Geheimnis meines Lebens nicht verraten. Mir ist lieber, er glaubt, ich hätte seine Tochter umgebracht, als dass er erfährt, warum ich den Pädophilen getötet habe. Das hier ist eine gute Lüge, Celeste. Damit kaufe ich mich frei.
»Sag’s mir!«, forderte Jimmy Dave auf.
Dave hielt sich an die Wahrheit, soweit es ihm möglich war. »Ich hab sie an dem Abend im McGills gesehen und musste an einen bestimmten Traum denken.«
»Was für ein Traum?«, fragte Jimmy, sein Gesicht verzog sich, seine Stimme brach.
»Über die Jugend«, erwiderte Dave.
Jimmy ließ den Kopf hängen.
»Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, jung gewesen zu sein«, fuhr Dave fort. »Und Katie war ein Traum von Jugend, da bin ich wohl einfach ausgerastet.«
Es machte ihn fertig, Jimmy das zu erzählen, ihn damit zu quälen, aber Dave wollte einfach nur nach Hause, einen klaren Kopf bekommen und seine Familie sehen. Wenn er dafür Jimmy wehtun musste, dann tat er es eben. Er würde alles richtig machen. Und wenn in einem Jahr der wahre Mörder gefunden und verurteilt worden war, würde Jimmy verstehen, warum Dave sich so entschieden hatte.
»Ein Teil von mir«, erzählte Dave, »ist damals nie wieder aus dem Auto rausgekommen, Jim. Genau wie du gesagt hast. Ein anderer Dave kam in Daves Kleidung zurück, aber es war nicht Dave. Dave ist immer noch in dem Keller. Verstehst du?«
Jimmy nickte, und als er den Kopf hob, konnte Dave sehen, dass seine Augen feucht waren und glänzten, dass in ihnen Mitleid lag, vielleicht sogar Liebe.
»Also war
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