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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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wenig wie Jimmy, und so saßen sie da, tranken ihr Bier, lauschten dem Kratzen und Schaben der Gummisohlen und Holzschläger, dem jähen metallischen Klacken des Gummiballs, wenn er von einer Radkappe abprallte.
    Mit seinen sechsunddreißig Jahren liebte Jimmy Marcus inzwischen seine ruhigen Samstagabende. Laute, überfüllte Kneipen und betrunkene Geständnisse konnte er nicht mehr gebrauchen. Vor dreizehn Jahren war er aus dem Gefängnis entlassen worden, ihm gehörte ein Eckladen, zu Hause hatte er eine Frau und drei Töchter und er war überzeugt, den aufgedrehten Jungen, der er einmal gewesen war, gegen einen Mann eingetauscht zu haben, der Wert legte auf einen regelmäßigen Lebensrhythmus – ein langsam getrunkenes Bier, ein morgendlicher Spaziergang, die Übertragung eines Baseballspiels im Radio.
    Er schaute auf die Straße. Vier Kinder hatten ihren Kampf gegen die Dunkelheit aufgegeben und waren nach Hause gegangen, aber zwei waren geblieben. Sie hackten im Dunkeln auf den Ball ein. Jimmy konnte sie kaum noch sehen, aber er konnte ihre Energie und Wut beim Schlagen der Stöcke erkennen, das Scharren ihrer Füße.
    Irgendwo musste sie ja hin, die jugendliche Energie. Als Jimmy klein war – Blödsinn, bis kurz vor seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag –, hatte diese Energie alle seine Taten bestimmt. Und dann … dann lernte man einfach, sie irgendwo zu verstauen. Man packte sie weg.
    Seine älteste Tochter, Katie, befand sich gerade mitten in diesem Prozess. Neunzehn Jahre alt und wunderschön, die Hormone spielten verrückt, Alarmstufe rot. Aber in letzter Zeit hatte er eine gewisse Anmut an seiner Tochter bemerkt. Er wusste nicht genau, woher sie kam – manche Mädchen wuchsen anmutig zur Frau heran, andere blieben ihr Leben lang Mädchen –, aber plötzlich besaß Katie sie, diese Friedlichkeit, ja, diese gelassene Heiterkeit.
    Im Laden hatte sie Jimmy heute Nachmittag zum Abschied auf die Wange geküsst und gesagt: »Bis später, Daddy!«, und fünf Minuten später fiel Jimmy auf, dass ihre Stimme noch immer in ihm nachklang. Es war die Stimme ihrer Mutter, erkannte er, etwas tiefer und selbstsicherer, als er sie in Erinnerung hatte, und Jimmy fragte sich, wann sie sich in den Stimmbändern seiner Tochter eingenistet hatte und warum er es bisher nicht gemerkt hatte.
    Die Stimme ihrer Mutter. Ihre Mutter, nun fast vierzehn Jahre tot, und jetzt kehrte sie über die gemeinsame Tochter zu Jimmy zurück und sagte: Sie ist jetzt eine Frau, Jim. Sie ist erwachsen.
    Eine Frau. Wow! Wie war das passiert?
     
    Dave Boyle hatte nicht vorgehabt, an diesem Abend vor die Tür zu gehen.
    Sicher, es war Samstag, eine lange Arbeitswoche lag hinter ihm, aber er hatte ein Alter erreicht, in dem sich ein Samstag nicht viel von einem Dienstag unterschied, und in einer Kneipe zu trinken, war gar nicht so viel erstrebenswerter als zu Hause. Da hatte man wenigstens die Macht über die Fernbedienung.
    Und deshalb sagte er sich hinterher, als alles aus und vorbei war, dass das Schicksal seine Hand im Spiel gehabt haben musste. Das hatte es schon einmal in Dave Boyles Leben getan – genauer gesagt, hatte das Pech seine Hand im Spiel gehabt –, aber es war ihm noch nie wie eine leitende Hand vorgekommen, eher wie eine launische, nörgelnde Frau, Als säße das Schicksal irgendwo oben in den Wolken und wurde gefragt: »Nix los, Schicksal?« Und das Schicksal: »Tote Hose. Aber ich glaub, ich verarsche Dave Boyle mal richtig, vielleicht krieg ich dann bessere Laune.« Was sollte man da machen?
    Denn Dave erkannte das Schicksal, wenn es ihm begegnete.
    Vielleicht hatte das Schicksal an dem Samstagabend Geburtstag und überlegte sich, dem alten Dave mal eine Pause zu gönnen, damit er mal ein bisschen Dampf ablassen konnte, ohne dass es Folgen für ihn haben würde, und deshalb sagte es: »Hau der Welt mal eine rein, Davey. Versprochen, dass sie diesmal nicht zurückschlägt!« Als ob Lucy Charlie Brown den Football hinhält und nur dieses eine Mal keine fiese Ziege ist, sondern ihn so richtig dagegentreten lässt. Er hatte es nämlich nicht vorgehabt. Nein. Wenn Dave danach abends allein war, streckte er entschuldigend die Hände aus, als stehe er vor den Geschworenen, und sagte leise in die leere Küche: »Das müsst ihr mir glauben. Ich hatte nichts Derartiges vor.«
    An jenem Abend kam er gerade die Treppe herunter, nachdem er seinem Sohn Michael einen Gute-Nacht-Kuss gegeben hatte, und steuerte auf den Kühlschrank zu, um

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