Mystic River
Lied von Springsteen. Nicht von dem Springsteen, der »Nebraska« und »Ghost of Tom Joad« geschrieben hatte, sondern von dem Bruce, von dem »Born to Run«, »Two Hearts Are Better Than One« und »Rosalita (Come Out Tonight«) waren, der Bruce mit den Hymnen. Ja, eine Hymne; so würde es sein, wenn er mitten über den Asphalt schritt, auch wenn sie mit ihren Stoßstangen erst kurz vor ihm anhielten und die Fahrer hupten, er würde die Straße entlanggehen, würde ins Herz von Buckingham laufen, um seine Katie an die Hand zu nehmen, und dann würden sie alles für immer hinter sich lassen, ins Flugzeug steigen, nach Las Vegas fliegen und dort den Bund fürs Leben schließen, eine Elvis-Kopie würde aus der Bibel vorlesen und fragen, ob er dieses Mädchen zur Frau nehmen wolle, und Katie würde antworten, sie wolle ihn zum Mann nehmen, und dann … dann, ach egal, dann wären sie verheiratet und weit weg und würden nie zurückkommen, nie im Leben, nur er und Katie, und der Rest ihres Lebens läge offen und unverfälscht vor ihnen, wie eine von der Vergangenheit, von der Welt losgelöste Lebensader.
Er sah sich in seinem Zimmer um. Kleidung eingepackt. Traveler Schecks von American Express eingepackt. Basketballschuhe eingepackt. Bilder von sich und Katie eingepackt. Tragbarer CD-Spieler und CDs eingepackt. Kulturbeutel gepackt.
Er schaute sich an, was er zurücklassen würde. Poster der Basketballer Bird und Parrish, ein Poster von Fisks Homerun 1975. Das Poster von Sharon Stone ganz in Weiß (zusammengerollt unter dem Bett, seit er Katie zum ersten Mal reingeschmuggelt hatte, aber trotzdem …). Die Hälfte seiner CDs. Drauf geschissen, die Hälfte von ihnen hatte er sich eh kein zweites Mal angehört. MC Hammer zum Beispiel.
Billy Ray Cyrus. Ach, du Scheiße. Zwei abgewichste Sony-Lautsprecher zur Ergänzung einer Jensen-Anlage, zusammen zweihundert Watt, die er sich im letzten Sommer gekauft hatte, als er für Bobby O’Donnell das Dach gedeckt hatte.
Auf die Art und Weise war er auch zum ersten Mal nah genug an Katie herangekommen, um ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Ein Jahr war das erst her. Manchmal kam es ihm wie ein Jahrzehnt vor, im positiven Sinne, und manchmal wie eine Minute. Katie Marcus. Er hatte sie natürlich schon vorher gekannt; alle in der Gegend kannten Katie. So schön wie sie war. Aber nur wenige kannten sie wirklich. Bei schönen Menschen war das manchmal so, ihre Schönheit schreckte andere ab, hielt sie auf Distanz. Anders als im Kino, wo schönen Menschen immer die Herzen zuflogen. In Wirklichkeit war Schönheit ein Zaun, der andere ausschloss, sie abwimmelte.
Aber Katie, Mensch – vom ersten Tag an, als sie mit Bobby O’Donnell vorbeigekommen und der sie an der Baustelle stehen gelassen hatte, weil er mit ein paar von seinen Jungs durch die Stadt ziehen musste, um ein bisschen Geld einzutreiben, und scheinbar vergessen hatte, dass sie zu ihm gehörte, vom allerersten Tag an war sie so schlicht und normal gewesen. Damals hatte sie Brendan Gesellschaft geleistet, während er Dichtungsbleche anbrachte, als wäre sie ein Kumpel von ihm. Sie kannte seinen Namen und sie fragte: »Wie kommt es, dass so ‘n netter Kerl wie du für Bobby O’Donnell arbeitet, Brendan?« Brendan. Dieses Wort aus ihrem Mund, als wäre es das Normalste der Welt, und Brendan saß mit hochgezogenen Knien oben auf dem Rand des Daches und glaubte, er würde ohnmächtig runterfallen. Ohnmächtig. Ohne Scheiß. Diese Wirkung hatte sie auf ihn.
Und morgen würden sie weg sein, sobald sie angerufen hatte. Zusammen fort. Für immer.
Brendan legte sich aufs Bett und stellte sich ihr mondgleiches Gesicht vor. Er wusste, dass er nicht würde schlafen können. Er war zu aufgedreht. Aber das war egal. Er lag da und sah Katies lächelndes Gesicht vor sich. Ihre Augen glänzten im Dunkel.
Nach der Arbeit ging Jimmy Marcus abends mit seinem Schwager, Kevin Savage, ein Bier im »Warren Tap« trinken, sie setzten sich ans Fenster und sahen den Kindern beim Straßenhockeyspielen zu. Die Kleinen waren zu sechst, sie kämpften gegen die Dunkelheit; ihre Gesichter waren schon nicht mehr zu erkennen. Das Warren Tap lag in einer unscheinbaren Seitenstraße, wo früher die Viehhöfe gewesen waren, was toll zum Hockeyspielen war, weil es nicht viel Verkehr gab, aber abends war es Kacke, weil seit einem Jahrzehnt keine Straßenlaterne mehr funktionierte.
Mit Kevin war er gern zusammen, denn er redete meist nicht viel, genauso
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