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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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verfiel. In ihrem letzten Lebensmonat war Marita zu krank gewesen, um ihn zu besuchen, zu schwach, um zu schreiben, und Jimmy musste sich mit Telefongesprächen zufrieden geben, bei denen sie erschöpft oder voll gepumpt mit Medikamenten war. Meistens beides zusammen.
    »Weißt du, was ich immer träume?«, hatte sie einmal schleppend gefragt. »Neuerdings?«
    »Was denn, mein Schatz?«
    »Von orangen Gardinen. Große, dicke orange Gardinen …« Sie schluckte und Jimmy hörte, dass sie Wasser trank. »… sie flattern einfach im Wind, hängen an so einer hohen Wäscheleine, Jimmy. Flattern einfach hin und her. Sonst machen sie nichts. Flapp, flapp, flapp. Endlose Gardinen auf so einem riesengroßen Feld. Hin und her …«
    Er wartete, aber das war es gewesen. Er wollte nicht, dass Marita mitten im Gespräch einnickte, wie es schon mehrmals passiert war, deshalb fragte er: »Wie geht’s Katie?«
    »Hm?«
    »Wie geht’s Katie, Schatz?«
    »Deine Mum kümmert sich um uns. Sie ist traurig.«
    »Wer? Meine Mum oder Katie?«
    »Beide. Hör mal, Jimmy, ich muss aufhören. Mir ist schlecht. Bin müde.«
    »Okay, Schatz.«
    »Liebe dich.«
    »Lieb dich auch.«
    »Jimmy? Wir hatten nie orange Gardinen, oder?«
    »Nein.«
    »Komisch«, sagte sie, dann legte sie auf.
    Das Letzte, was sie zu ihm sagte: Komisch.
    Ja, es war komisch. Ein Muttermal, das man auf dem Arm hatte, seit man in seinem Kinderbett das Pappmobile angestarrt hatte, wurde plötzlich dunkler und vierundzwanzig Wochen später, fast zwei ganze Jahre, nachdem man zum letzten Mal mit seinem Mann im Bett gelegen und das Bein über seines gelegt hatte, wurde man in eine Kiste gesteckt und in der Erde verscharrt und der Mann stand fünfzig Meter weiter zwischen bewaffneten Männern und trug Fesseln um Füße und Handgelenke.
    Zwei Monate nach der Beerdigung kam Jimmy aus dem Gefängnis, stand in den gleichen Klamotten in der Küche, in denen er sie verlassen hatte, und lächelte seine fremde Tochter an. Teilweise erinnerte er sich noch an ihre ersten vier Jahre, sie tat es nicht mehr. Sie erinnerte sich nur an die letzten beiden, vielleicht noch unscharf an den Mann, der in diesem Haus gewohnt hatte, bevor sie ihn samstags an einem alten Tisch in einem düsteren, stinkenden Gebäude sehen durfte, in dem die Wände tropften, die Decken niedrig hingen, das auf einem gespenstischen Indianerfriedhof gebaut worden war und um das der Wind peitschte. Noch nie hatte er sich so nutzlos gefühlt wie in dem Moment, als er da so in seiner Küche stand und beobachtete, wie sie ihn ansah. Nie war er einsamer und ängstlicher gewesen als in dem Moment, als er sich neben Katie hockte, ihre kleinen Hände in seine nahm und sich vorstellte, wie er mit ihr durch das Zimmer schwebte. Und der schwebende Jimmy dachte: Mann, was tun mir die beiden Leid. Fremde in einer miesen Küche, die sich gegenseitig taxieren und versuchen, sich nicht zu hassen, weil die Frau gestorben ist und sie jetzt aufeinander angewiesen sind und nicht die geringste Ahnung haben, was sie jetzt tun müssen.
    Diese Tochter – dieses Geschöpf, das lebte, atmete und von so vielen Dingen geprägt worden war – war nun von ihm abhängig, ob es ihm gefiel oder nicht.
    »Sie sitzt oben im Himmel und lächelt uns zu«, sagte Jimmy zu Katie. »Sie ist stolz auf uns. Richtig stolz.«
    Katie fragte: »Musst du wieder dahin zurück?«
    »Nein. Nie wieder.«
    »Gehst du woanders hin?«
    In dem Moment hätte Jimmy liebend gern weitere sechs Jahre in einem Dreckloch wie Deer Island oder sonst wo abgesessen, überall, nur um nicht vierundzwanzig Stunden in dieser Küche mit dieser fremden Tochter vor sich zu haben. Diese beängstigende Ungewissheit der Zukunft, dieser Pfropfen auf dem – jetzt mal ganz ehrlich –, was von seinem Leben als junger Mann geblieben war.
    »Auf keinen Fall«, antwortete er. »Ich bleib bei dir.«
    »Ich hab Hunger.«
    Und es traf Jimmy wie ein Schlag – ach, du liebe Güte, ich muss diesem Mädchen Essen machen, wenn es Hunger hat. Für den Rest unseres Lebens. Du lieber Himmel!
    »Na, gut«, sagte er und spürte, wie er unsicher lächelte. »Dann essen wir was.«
     
    Jimmy erreichte »Cottage Market«, seinen kleinen Eckladen, um halb sieben und übernahm Kasse und Lottoannahme, während Pete die Donuts von Yser Gaswamis Dunkin’ Donuts auf der Kilmer Street und das Blätterteiggebäck, die Cannolis und Würstchen im Schlafrock aus Tony Bucas Bäckerei auspackte. Als Flaute herrschte, holte

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