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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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feucht, und wer wusste schon, ob Woodrell wirklich schlief oder einfach nur so tat. Vielleicht besaß Jimmy auch gar nicht die Kraft, das Kissen festzuhalten, wenn der Riese mit seinen Riesenarmen nach Jimmys Kopf schlug, ihm das Gesicht zerkratzte, ihm die Arme ausriss, ihm mit seinen Hammerfäusten das Ohr zerquetschte.
    Die letzte Stunde war die schlimmste. Graues Licht sickerte durch die dicken hohen Fenster und erfüllte das Zimmer mit metallischer Kälte. Jimmy hörte die Männer aufwachen und in ihren Zellen herumlaufen. Er hörte heiseres, trockenes Husten. Er spürte, dass die Maschine sich warm lief, kalt und hungrig, denn die Maschine wusste, dass sie ohne Gewalt, ohne den Geschmack von Menschenfleisch, verenden würde.
    Woodrell sprang so plötzlich aus dem Bett, dass Jimmy nicht reagieren konnte. Er verengte die Augen zu Schlitzen, atmete verhalten und wartete, dass Woodrell nahe genug kam, um ihm an die Kehle gehen zu können.
    Aber Woodrell Daniels würdigte Jimmy keines Blickes. Er nahm ein Buch aus dem Regal über dem Waschbecken, schlug es auf, kniete sich hin und dann begann der Mann zu beten.
    Er betete, las Abschnitte aus den Paulusbriefen und betete weiter. Hin und wieder gab er dieses heisere Kichern von sich, unterbrach aber nie seine Sätze, bis Jimmy irgendwann klar wurde, dass das Gekicher so etwas wie ein unkontrollierter Laut war, ähnlich dem Seufzen von Jimmys Mutter, als sie jung war. Woodrell merkte wahrscheinlich gar nicht mehr, dass er dieses Geräusch von sich gab.
    Als Woodrell sich umdrehte und Jimmy fragte, ob er Jesus als seinen persönlichen Retter annehmen könne, wusste Jimmy, dass die längste Nacht seines Lebens vorbei war. In Woodrells Gesicht sah er das Leuchten eines Verdammten, der seine Erlösung betrieb, und dieses Glühen war so eindeutig, dass Jimmy nicht verstand, warum es ihm nicht bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war.
    Jimmy konnte seinen unglaublichen Dusel gar nicht fassen – er war in der Höhle des Löwen gelandet, bloß war der Löwe ein Christ, und Jimmy würde Jesus, Bob Hope, Doris Day und jeden anderen, den Woodrell in seinem verzückten Zustand anbetete, als Retter annehmen, solange das bedeutete, dieser klotzige Freak würde nachts in seinem Bett bleiben und beim Essen neben Jimmy sitzen.
    »Ich war ein Sünder«, sagte Woodrell Daniels zu Jimmy. »Doch jetzt bin ich erlöst, gelobt sei der Herr.«
    Fast hätte Jimmy laut gesagt: »Da hast du verdammt Recht, Woodrell.«
    Bis zum heutigen Tag maß Jimmy alle Geduldsprüfungen an dieser ersten Nacht in Deer Island. Er redete sich ein, er könne so lange wie nötig an einem Fleck stehen bleiben – ein, zwei Tage –, bis er das bekam, was er haben wollte. Denn nichts kam an diese erste Nacht mit der lebenden Gefängnismaschine heran, als es um ihn herum grummelte und keuchte und die Ratten kreischten, die Sprungfedern ächzten und Schreie erstarben, kaum dass sie ausgestoßen worden waren.
    Bis zum heutigen Tag.
    Am Eingang zum Pen-Park auf der Roseclair Street standen Jimmy und Annabeth und warteten. Sie standen hinter der ersten Barriere, die die Staties auf der Zufahrtsstraße errichtet hatten, aber vor der zweiten. Man gab ihnen Kaffee und Klappstühle zum Sitzen und die Trooper waren nett zu ihnen. Aber trotzdem mussten sie warten. Wenn sie um Auskunft baten, wurden die Gesichter der Trooper ein bisschen ausdrucksloser und ein bisschen traurig, dann entschuldigten sie sich und sagten, sie wüssten nicht mehr als alle anderen außerhalb des Parks.
    Kevin Savage war mit Nadine und Sara nach Hause zurückgekehrt, aber Annabeth war geblieben. Sie saß in ihrem lavendelfarbenen Kleid neben Jimmy, das sie zu Nadines Erstkommunion getragen hatte, ein Ereignis, das Wochen zurückzuliegen schien. Still und verschlossen wirkte sie in ihrer verzweifelten Hoffnung. Die Hoffnung, dass Jimmy das, was er in Sean Devines Gesicht gesehen hatte, falsch gedeutet hatte. Die Hoffnung, dass Katies leeres Auto, ihre Abwesenheit und die Bullen im Pen-Park auf wunderbare Weise nichts miteinander zu tun hatten. Die Hoffnung, dass die Wahrheit, die sie wohl ahnte, doch eine Lüge war.
    »Soll ich dir noch einen Kaffee holen?«, fragte Jimmy.
    Sie lächelte ihn an, verletzt, distanziert. »Nein, schon gut.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein.«
    Wenn keine Leiche zu sehen ist, dachte Jimmy, ist sie auch nicht tot. Das hatte er sich die ganze Zeit, seit man ihn und Chuck Savage vom Hang in der Nähe des Autokinos weggebracht

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