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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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wieder an ihnen vorbei und stellte Holzböcke unter den Eingangsbogen. Ehe sich’s Jimmy versah, kam der Streifenwagen neben ihm zum Stehen, ein weißer Einsatzwagen fuhr rechts an ihm vorbei auf die Roseclair und bog nach links ab. Jimmy las die seitliche Aufschrift SUFFOLK COUNTY CORONER und spürte, wie alle Gelenke in seinem Körper – Knöchel, Schultern, Knie und Hüfte – zerbrachen und sich auflösten.
    »Jimmy!«
    Jimmy erblickte Sean Devine. Sean schaute durch das geöffnete Beifahrerfenster zu ihm hoch.
    »Komm, Jimmy! Bitte! Steig ein!«
    Sean stieg aus und öffnete die Hintertür, während der Hubschrauber zurückkehrte. Er flog diesmal höher, aber dennoch tief genug, dass Jimmy den Wind in seinem Haar spürte.
    »Mrs. Marcus«, versuchte es Sean erneut. »Jimmy, Kumpel! Steig ein!«
    »Ist sie tot ?«, fragte Annabeth. Das Wort fuhr in Jimmy und verwandelte sich in Säure.
    »Bitte, Mrs. Marcus. Wenn Sie bitte einsteigen würden.«
    Auf der Roseclair hatten sich zwei Schlangen von Streifenwagen gebildet, die Kolonne fuhren. Die Sirenen heulten.
    Annabeth schrie gegen den Lärm an: »Ist meine Tochter …?«
    Jimmy zog sie fort, weil er das Wort nicht noch einmal hören wollte. Er zerrte sie durch den Lärm und stieg mit ihr hinten in den Wagen, dann warf Sean die Tür zu und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Bulle hinter dem Lenkrad gab Gas und stellte gleichzeitig die Sirene an. Sie rasten über die Zufahrtsstraße, schlossen sich der Kolonne an und fuhren auf die Roseclair Street: Eine Armee von Fahrzeugen mit heulenden Motoren und heulenden Sirenen heulte durch den Wind auf die Schnellstraße zu und schien mit dem Heulen nicht mehr aufhören zu wollen.
     
    Sie lag auf einem Metalltisch.
    Die Augen waren geschlossen, ein Schuh fehlte.
    Die Haut war blauschwarz, eine Farbe, die Jimmy noch nie gesehen hatte.
    Trotz des stinkenden Formaldehyds, das diesen eiskalten Raum erfüllte, roch er einen Hauch ihres Parfüms.
    Sean legte Jimmy die Hand auf den Rücken und Jimmy sagte etwas, nahm seine eigenen Worte jedoch kaum wahr. Er war überzeugt, in diesem Augenblick genauso tot zu sein wie der Körper vor ihm.
    »Ja, das ist sie«, sagte er.
    »Das ist Katie«, sagte er.
    »Das ist meine Tochter.«

13 LICHTER
    »Da oben ist eine Cafeteria«, sagte Sean zu Jimmy. »Wollen wir einen Kaffee trinken?«
    Jimmy beugte sich noch immer über die Leiche seiner Tochter. Man hatte sie wieder mit einem Laken zugedeckt. Jimmy hob die obere Ecke an und betrachtete Katies Gesicht, als blickte er von einem Brunnenrand in die Tiefe und wollte hinunterspringen. »Die Cafeteria ist im gleichen Gebäude wie das Leichenschauhaus?«
    »Ja. Ist ja ein großes Haus.«
    »Komisch«, sagte Jimmy mit vollkommen tonloser Stimme. »Meinst du, wenn die Pathologen reinkommen, setzen sich alle auf die andere Seite?«
    Sean wusste nicht, ob das der Beginn eines Schocks war. »Weiß nicht, Jim.«
    »Mr. Marcus«, begann Whitey, »wir dachten, wir könnten Ihnen vielleicht ein paar Fragen stellen. Ich weiß, es ist kein guter Zeitpunkt, aber …«
    Jimmy legte das Laken wieder über das Gesicht seiner Tochter und seine Lippen bewegten sich, doch es kam kein Laut aus seinem Mund. Er guckte Whitey an, als wunderte er sich, ihn in diesem Raum mit einem Notizblock und einem Stift in der Hand zu sehen. Dann drehte sich Jimmy zu Sean um.
    »Hast du schon mal drüber nachgedacht«, fragte Jimmy, »wie die kleinste Entscheidung den Rest deines Lebens verändern kann?«
    Sean wich seinem Blick nicht aus. »Wie meinst du das?«
    Jimmys Gesicht war blass und leer, die Pupillen waren zur Decke gerichtet, als versuche er sich zu erinnern, wo er die Autoschlüssel hingelegt hatte.
    »Ich hab mal gehört, dass Hitlers Mutter ihn beinahe abgetrieben hätte, aber in letzter Minute einen Rückzieher gemacht hat. Hab mal gehört, er verließ Wien, weil er seine Bilder nicht verkaufen konnte. Aber was wäre passiert, wenn er ein Bild verkauft hätte, Sean? Oder wenn seine Mutter abgetrieben hätte? Dann wäre die Welt jetzt ganz anders. Verstehst du? Oder sagen wir, du verpasst eines Morgens den Bus, gehst dir also noch ‘ne Tasse Kaffee holen und kaufst dir gleich noch ein Rubbellos. Das Los gewinnt. Plötzlich musst du nicht mehr den Bus nehmen. Du fährst mit einem Lincoln zur Arbeit. Aber dann hast du einen Autounfall und stirbst. Nur weil du einmal den Bus verpasst hast.«
    Sean sah Whitey an. Der zuckte mit den Schultern.
    »Nein«, fuhr Jimmy

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