Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
wurde hörbar schriller. Panik schwang in den Worten mit. Panik und maßlose Sorge.
»Sucht ihr mich?«
Linda holte tief Atem. Es war Graces Stimme. Sie stand hinter ihnen. Dem Himmel sei Dank! Ihr war nichts geschehen. Sie war hier bei ihnen. Linda nahm sich vor, ruhig zu bleiben. Sie wollte ihre Tochter nicht beunruhigen. Noch einmal seufzte sie, dann drehte sie sich um und strich Grace sanft über die Wange. »Wo warst du? Wir haben dich gesucht.«
»Mom ... ich muss dir was erzählen. He, Brad ... du wirst es nicht glauben ...«
»Ab sofort glaube ich auch, dass der Weihnachtsmann ein Bruder des Osterhasen ist«, murmelte Brad.
Sie nahmen in einer der gemütlichen Sitzecken Platz. Brad winkte der Bedienung. Sie bestellten. Grace und Linda je eine Cola. Brad bestellte sich ein Bier.
Mit wenigen Sätzen berichtete Grace, was sie erlebt hatte. Brad und Linda schwiegen. Die Bar war sonnendurchflutet. Wenige Meter unter ihnen lagen die anderen Reisenden auf ihren Liegestühlen. Von hier oben konnte man sie gut beobachten.
»Es wirkt alles ganz normal «, murmelte Brad.
»Bis auf die Tatsache, dass niemand im Pool ist und sie alle genauso da rumliegen, wie vor einer Stunde. So, als habe man sie einfach da hingelegt. Wie Puppen«, wisperte Grace. Sie hatte sich das Badehandtuch über die Schulter geschlungen. Ihr Badeanzug war noch etwas klamm, und die Klimaanlage ziemlich kalt.
»Ich gehe mich erst mal umziehen«, sagte Grace fröstelnd.
Linda schoss vor. »NEIN!«
Grace blickte fragend.
Linda räusperte sich. Sie legte ihrer Tochter sanft die Hand auf den Arm. »Ich möchte, dass du im Moment noch bei uns bleibst.« Ihre Stimme vibrierte leicht.
Der Kellner servierte die Getränke, notierte die Kabinennummer und wollte sich davon machen. Brad hielt ihn zurück. »Sagen Sie ... wann fahren wir weiter?«
»Heute am frühen Abend. Gegen 17 Uhr! Dann geht es Richtung Assuan. Dort kehren wir um und übermorgen treffen wir wieder in Luxor ein.«
»Wird das Schiff die ganze Nacht unterwegs sein?«
»Richtig, Sir. Morgen nach dem Frühstück werden wir in Assuan eintreffen.«
Brad bedankte sich. Der Kellner ging weg. Sie waren alleine. Grace fror.
Brad zog sich das T-Shirt über die Schultern. »Nimm das! Ich hoffe, es passt.« Er blinzelte schelmisch.
Grace zog es über. »Okay, Brad. Es passt. Ist nicht zu eng, falls du das dachtest.« Sie griff unter das Shirt, in dem sie zu versinken drohte, und löste das Bikinioberteil.
»Na, wusste ich’s doch. Du siehst bezaubernd aus.«
Grace streckte Brad die Zunge heraus.
Linda blickte zwischen Mann und Kind hin und her. Sie verstanden sich wirklich prächtig. Für einen Moment verharrte ihr Blick auf Brads athletischem Oberkörper. Welche Art Sport trieb ihr - Arbeitskollege? Bisher hatte sie ihn immer für einen ziemlich bequemen Mann gehalten. Wenn sie jedoch seine Figur betrachtete ...
Ein schrilles Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Ein Nilschiff kam ihnen entgegen. Touristen winkten zu ihnen herüber.
»Schaut nur ...« Grace zog ihre Schultern hoch und zeigte nach unten zum Deck hin. »Niemand hat zurückgegrüßt. Niemand!«
»Das stimmt«, knurrte Brad. »Ich erinnere mich, dass sonst, wenn uns ein anderes Schiff begegnete, jeder an Bord gestikulierte, als ginge gleich die Party des Jahres los.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich sei auf einem Geisterschiff. Seit heute morgen ist hier alles ganz anders.« Er lächelte gereizt zu dem Kellner hin, der sich an einigen Gläsern zu schaffen machte und tat, als habe er die laustarke Begrüßung des Nilschiffes nicht wahrgenommen. Brad hob die Kamera hoch, schaltete sie ein und fotografierte. Der Kellner bleckte seine Zähne. Er schien es gewohnt zu sein. Brad rutschte hinter dem Tisch vor, stand auf, ging zum Fenster und machte weitere Aufnahmen. Theatralisch drehte er sich zu Linda und Grace hin. »Ich liiiiebe den Nil!«
»Was soll das?«, fragte Grace verdutzt.
Brad trank sein Bier aus. »Kommt mit. In meine Kabine. Ich möchte die Aufnahmen sehen.«
Erneut blickte Grace fragend.
Linda tätschelte ihr den Arm. »Er meint, es sei sinnvoll, wenn wir uns einige Bilder betrachten. So etwas inspiriert. Vergesse nicht, dass deine Mom hier ist, um einen wunderbaren Bericht zu schreiben.«
»Und was ist mit ... denen?«, nickte Grace zum Fenster hin.
»Darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist.«
Grace kniff die Augen zusammen. Sie kannte ihre Mutter.
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