Mystic
von einer nervösen Unruhe befallen.
Mach dir was zu essen, sagte sie sich. Sie legte eine CD von Sade auf und hörte zu, wie die rauchige Stimme der Sängerin den Raum zu füllen begann. Einen Moment lang sang sie mit, bis ihre Stimme nicht mehr folgen konnte.
Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, während sie einen großen Topf mit Wasser füllte und auf den Herd stellte. Aus einer Schublade neben dem Herd holte sie eine mittelgroße Pfanne und stellte sie auf eine andere Herdplatte. Aus einem Plastikbehälter, den sie schon früher an diesem Tag aus dem Gefrierfach genommen hatte, goss sie eine Spaghettisauce in die Pfanne und öffnete dann eine Tür des Hängeschranks über der Theke, um Knoblauchpulver herauszuholen, da sie keine frischen Zehen mehr im Haus hatte.
Sie schob Vanillestangen, Soya- und Worcestershiresauce zur Seite und suchte nach dem richtigen Behälter. Ihre Hand langte tiefer in den Schrank und holte farbige Kuchenstreusel und eine Dose Backpulver hervor. Sie hielt inne, als sie eine lang vergessene Flasche Sherry zum Kochen erblickte.
Mehrere Minuten stand sie so da und starrte vor sich hin wie Paula Potter, als sie vom Tod ihres Mannes erfahren hatte. Ihr Atem ging flach und stoßweise, bis sie das Knoblauchpulver neben dem Sherry entdeckte. Sie griff danach, warf die Schranktür zu, wirbelte herum und starrte in den Raum.
»Es wird schon alles werden«, sagte sie laut mit unsicherer Stimme.
Doch in dem regenüberströmten Fenster auf der anderen Seite der Küche sah sie ihr Spiegelbild. Aus Nightingales Gesicht war die Farbe gewichen. Ihre Hände zitterten vor Angst.
8
Montag, 12 . Mai
Nach Mitternacht ließ der Regen endlich nach. Der Wind legte sich, der Fluss floss ruhiger, und der Himmel nahm die blaue Färbung eines ungewöhnlichen, für die Jahreszeit viel zu frühen Hochdrucksystems über Alberta an. Um halb acht Uhr morgens lag die Temperatur kaum bei fünf Grad.
Doch im Büro des staatlichen Gerichtsmediziners in Burlington schimpfte Lawtons Polizeichef Mike Kerris nicht über das Wetter. »Ich will wissen, weshalb ich nicht schon vor sechsunddreißig Stunden über diesen Brief informiert wurde.«
Lieutenant Bowman, Andie Nightingale und Mel Allen, der stellvertretende gerichtsmedizinische Direktor, saßen um einen einfachen Konferenztisch. Kerris stand. Sein graues Sweatshirt mit der Aufschrift »Lawton« sah aus, als hätte er darin geschlafen. Seine stahlblauen Augen waren blutunterlaufen und wässrig. Während der ganzen Autopsie, die soeben zu Ende gegangen war, hatte er Kaffee in sich hineingeschüttet.
»Wir wollten sichergehen, dass die Fingerfarbe Potters Blut war, damit Sie sich nicht umsonst aufregen«, meinte Lieutenant Bowman. Sie trug ein blassgelbes Kostüm. »Das hat sich jetzt bestätigt, und so haben wir es Ihnen berichtet.«
Außer der Übereinstimmung von Potters Blutgruppe mit derjenigen des Blutes auf dem Brief und an der Brücke hatte der Gerichtsmediziner bei der Autopsie wenig Interessantes gefunden.
Eine genaue Untersuchung der Wunden an Kopf und Rücken des Zahnarztes hatte keine neuen Erkenntnisse über die Art der Waffe erbracht, die sie suchten. So viel war jedoch sicher: In Anbetracht von Potters körperlicher Größe und Statur sowie dem Winkel und der Tiefe der Schläge musste der Mörder über 1 , 80 Meter groß und besonders kräftig sein. Er hatte von hinten zugeschlagen, möglicherweise während oder nach der Vergewaltigung. Allen meinte, dass er, obwohl sich die Beweislage durch den Aufenthalt der Leiche im Fluss verschlechtert hatte, genügend Samenflüssigkeit habe sammeln können, um eine DNS -Analyse vorzunehmen, wenn ein Hauptverdächtiger auftauchen sollte.
Unterdessen hatten die Leute von der Spurensicherung keinerlei unbekannte Fingerabdrücke in Potters Jagdkammer gefunden, genauso wenig im oder am Munitionskasten oder auf der Brücke. Das Blut war mit einem behandschuhten Finger auf das Papier gemalt worden. Die schwarze Tinte und das Zeichenpapier waren von höchster Qualität, doch eine Marke, die es in jedem guten Geschäft für Künstlerbedarf zu kaufen gab.
Andie Nightingale hatte ihren Bericht an die FBI -Einheit für Verhaltenswissenschaften in Quantico, Virginia, geschickt, doch die Spezialisten hatten dort eine Menge Fälle zu bearbeiten. Das Erstellen eines psychologischen Profils des Mörders konnte bis zu zwei Wochen dauern. Der einzige weitere physische Hinweis, den die Spurensicherung hatte finden
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