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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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durch den Wald gewandert, auf der Suche nach einem guten Platz zum Fischen am Bluekill River, nur um direkt in die Schusslinie eines Truthahnjägers zu geraten, der auf einen balzenden Hahn ansaß. Der Jäger hatte Gallagher zu Boden gehen sehen, hatte Angst bekommen und war weggerannt.
    »Irgendeine Ahnung, wer der Witzbold war?«, fragte Dr. Wilson, während er mit Skalpell und Pinzette ein Schrotkorn unter Gallaghers Haut hervorzog. Man hörte ein klickendes Geräusch, als es in die Schüssel fiel.
    Andie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nur, dass er unerlaubt mein Grundstück betreten hatte.«
    Das Schmerzmittel ließ Gallagher alles weich und warm empfinden. Er dachte an die Bronzebüste der Person, nach der das Krankenhaus hieß und an der er gerade in der Eingangshalle vorbeigekommen war.
    »Lamont Powell, ist der mit dem Bürgermeister verwandt?«, fragte er den Arzt.
    »Man sollte eher fragen, wer das nicht ist«, warf Andie ein.
    »Lamont Powell war der Großvater des jetzigen Bürgermeisters«, sagte Wilson. Er holte wieder ein Schrotkorn heraus. »In einer Kleinstadt wie dieser sind die meisten Leute irgendwie miteinander verwandt.«
    »Wer denn zum Beispiel sonst noch?«, fragte Gallagher.
    Wilson legte den Kopf leicht zur Seite, während er nachdachte. »Chief Kerris zum Beispiel. Er ist der Neffe des Bürgermeisters. Das stimmt doch, Andie, oder nicht?«
    Andie verspannte sich und wandte den Blick ab, nickte jedoch.
    »Bist du auch mit ihnen verwandt?«, fragte Gallagher Andie.
    »Ganz sicher nicht!«
    Wilson sagte, Gallagher habe die Wahl, entweder über Nacht im Hospital zu bleiben oder zu seiner Hütte zurückzukehren, um sich dort unter Andies Beobachtung auszuruhen. Er entschied sich für Letzteres: Gallagher hatte Krankenhäuser noch nie gemocht. Wilson sagte auch, dass er wahrscheinlich Fieber bekommen würde. Wenn das Fieber jedoch länger als vierundzwanzig Stunden anhielte, müsse Gallagher wiederkommen. Der Arzt verschrieb eine Reihe Schmerzmittel und starke Antibiotika und empfahl ihm, die nächsten Tage liegend zu verbringen.
    Doch erst als Gallagher auf Krücken von seinem Wagen in die Hütte zurückgehumpelt und ins Bett gekrochen war und die Tabletten geschluckt hatte, die ihm Andie reichte, durchlebte er noch einmal die Schreckensszene im Wald. Gallagher hatte direkt vor der schwarzen Mauer gestanden, die er sich immer am Ende vorgestellt hatte, und nichts gesehen, nicht einmal eine kurze Rückblende seines Lebens. Hatte er denn gar keine Bedeutung?, fragte er sich. Würde mein Tod irgendjemandem etwas ausmachen? Hat mir das Leben nichts bedeutet? Gallagher merkte, wie melodramatisch diese Fragen klangen, doch das war ihm gleichgültig. Schauer durchliefen seinen Körper. Er rollte sich wie eine Kugel zusammen und zog die dicken Wolldecken bis ans Kinn hoch.
    Andie kam die schmale Treppe herauf, eine Steppdecke unter dem Arm. Sie trug ein grüngelbes »University of Vermont«-Sweatshirt, lange Hosen und Wollsocken. Ihr Haar fiel ihr jetzt ungebändigt über die Schultern wie ein Wasserfall. Erschöpft sank sie mit der Decke über den Knien in den Sessel in der Ecke. Tess, die Katze, tapste die Treppenstufen hoch und rollte sich auf dem Boden zwischen ihnen zusammen.
    »Versuch jetzt zu schlafen«, flüsterte Andie. »Ich bin hier, wenn du mich brauchst.«
    Gallagher bemühte sich, einzuschlafen, aber die Kälteschauer hörten nicht auf. Andie erhob sich von ihrem Sessel, stieg aufs Bett und legte sich dicht hinter ihn auf die Decken, die Steppdecke noch über sie beide gebreitet.
    Es fiel kein Wort. Ihre Körperwärme und der Geruch nach Frau verbanden sich mit der Wirkung des Schmerzmittels, massierten seinen Rücken, beruhigten seinen Kopf in einer dämpfenden Umarmung, und schließlich schlief Gallagher ein.
     
    Dreimal stieg Gallaghers Fieber in dieser Nacht stark an und sank wieder. Jedes Mal wechselte Andie die Laken, wusch ihm Gesicht und Brust mit einem heißen Waschlappen, gab ihm weitere Tabletten und kroch wieder unter die Steppdecke.
    Eine Stunde vor Tagesanbruch kämpfte er mit dem Fieber, als es ein letztes Mal aufflackerte. Der beständige, warme Schmerz im Nacken breitete sich aus, bis er seinen Kopf wie eine Haube bedeckte und Träume von Emily hervorrief …
    Sie saßen in einem Café ganz in der Nähe des Boulevard St. Germain des Près in Paris. Gallagher bestellte eine Flasche Wein.
    »Ich trinke keinen Alkohol«, sagte Emily. Seit Tagen wirkte sie

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