Mystic
hast es auch.«
Sie erschauerte sichtbar bei diesen Worten. Ihre Schultern wurden rund, und sie ließ den Kopf hängen. »Es ist bestimmt unangenehm, hier bei mir zu sein.«
Sein Zorn verflog so schnell, wie er gekommen war. »Manchmal. Aber du bist anders als sie.«
»Ich bin auch eine Trinkerin.«
Gallagher rang um Worte für die widersprüchlichen Gefühle, die ihn hin und her rissen, und klammerte sich an eines, das ihn selbst überraschte: »Du kennst doch die Geschichte der Frau, nach der du benannt worden bist, nicht wahr? Andromeda?«
Sie winkte ab. »Keine Ahnung. Meine Mutter sagte, es sei der Name von der Mutter ihres Großvaters gewesen. Sie stammten aus Griechenland.«
»Es ist ein Name aus der Mythologie«, erklärte er ihr. »Andromeda war eine große Prinzessin, dazu erzogen, eine Kriegerin zu werden. Du hast Perseus geholfen, ein Held zu werden, Medusa zu töten und einen bösen König zu besiegen.«
Sie lächelte. »Das habe ich alles getan, echt?«
»Ja.«
Wieder schwiegen sie lange und waren sich der Gegenwart des anderen in dem kleinen Zimmer überdeutlich bewusst. Schließlich räusperte sich Andie. »Okay, lass uns weitermachen. Wir müssen eine Liste anlegen von allem, was wir nicht wissen, und uns einen Plan ausdenken.«
In den nächsten dreißig Minuten schrieben sie mehr als ein Dutzend Fragen auf, einschließlich dieser: Wie hing das Tagebuch von Many Horses mit den Morden zusammen? Und wie konnten sie die anderen Tagebuchbesitzer finden, bevor noch weitere von ihnen ermordet wurden?
»Ich glaube, die Antwort steht im Tagebuch selbst«, sagte Andie schließlich. »Und wir haben zwei Teile davon verloren.«
Gallagher dachte darüber nach und schlug dann eine andere Möglichkeit vor: »Wir haben zwei Teile davon verloren, aber wir haben sie gelesen. Wir wissen, was darin steht. Was wir nicht verstehen, ist die Bedeutung. Wenn wir herausfinden können, was die Geschichte von Many Horses so wichtig macht, dann erfahren wir vielleicht, wer so scharf darauf ist, dass er dafür tötet.«
Andie nickte. »Wir müssen mit einem Sioux-Spezialisten sprechen.«
20
»Lächerlich!«, rief Roger Barrett verächtlich und winkte dabei so energisch ab, dass die silbernen Armreifen an seinem linken Handgelenk vernehmlich klapperten. Der Professor war Anfang fünfzig, hager, hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht, einen schwarzen Bürstenhaarschnitt und trug einen Türkisohrring. Barrett war Spezialist für Archivistik an der University of Nebraska und hatte zwei Jahre als Gastprofessor an der Dartmouth School of Native American Studies verbracht. Sein vollgestopftes Arbeitszimmer lag gleich neben der Bibliothek der Hochschule.
»Es existiert wirklich«, bekräftigte Gallagher.
»Unmöglich. Wenn es ein solches Tagebuch gäbe, dann wüsste ich davon«, erklärte Barrett schroff.
»Wir haben es aber gesehen«, beharrte Andie.
»Eine Fälschung höchstwahrscheinlich. Aber bringen Sie es ruhig einmal her, dann werde ich es mir ansehen.«
»Die beiden Teile, die wir hatten, sind uns gestohlen worden«, sagte Andie.
»Dann verschwenden wir hier nur unsere Zeit«, schnaubte Barrett und drehte sich mit seinem Schreibtischstuhl, um in einem Haufen von Schriftstücken auf dem Boden zu kramen.
Andie holte ihre Polizeimarke hervor, lehnte sich über den Schreibtisch und hielt sie dem Professor unter die Nase. »Ich wollte eigentlich meinen offiziellen Status nicht ausnutzen«, sagte sie in sanftem, doch so befehlendem Ton, dass Barrett sich ihnen wieder zuwandte. »Aber das Tagebuch könnte mit ein paar Mordfällen hier in Vermont zu tun haben.«
»Mordfälle!« Barrett setzte sich aufrecht hin. Er spielte mit einem schweren Türkisring. »Von Mordfällen, in die ein Sioux-Tagebuch involviert ist, habe ich nichts gehört.«
Gallagher warf einen Blick auf die Titelseite des
Rutland Herald
auf seinem Schoß und fragte sich, wie lange dieses Schweigen sich wohl noch aufrechterhalten ließ. Lieutenant Bowman hatte es irgendwie geschafft, die Hintergründe von Olga Dawsons Tod von der Presse fernzuhalten. Der Artikel auf der heutigen Regionalseite sprach nur davon, dass über das Feuer immer noch ermittelt werde. Es gab weder einen Hinweis auf Charun noch auf die Zeichnungen oder die Verbindung zu Hank Potter.
»Wir halten diesen Teil der Ermittlungen geheim«, erklärte Andie. »Professor, könnte ein solches Tagebuch so wertvoll sein, dass jemand dafür einen Mord begeht?«
Barrett rieb seinen
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