Mythica 06 - Goettin des Sieges
nicht ansatzweise tief genug. Sie ignorierte den König demonstrativ und legte dem Jungen eine Hand auf den Hinterkopf.
»Erhebe dich, mein Kind. Ich möchte allein mit dem König sprechen, aber wisse, dass du mit meinem Segen gehst.« Hera wartete, bis der Junge das Zimmer verlassen hatte, bevor sie sich Agamemnon zuwandte. Eine ganze Weile betrachtete sie ihn wortlos, denn sie wusste, wie sehr es ihm missfiel, den Kopf vor ihr gesenkt halten zu müssen. Als sie all das Gold sah, in das er gehüllt war, hätte sie vor Abscheu beinahe das Gesicht verzogen. Dachte der Mann, er wäre ein Gott?
Wenn dem so war, dann lag er vollkommen falsch.
»Erhebe dich, Agamemnon«, sagte Hera schließlich. »Ich bringe frohe Neuigkeiten.«
»Große Göttin, bringt Ihr mir eine Botschaft vom mächtigen Zeus?«
Heras Augen blitzten zornig. »Ich bin nicht die Botschafterin meines Mannes!«, rief sie, und die gebieterische Macht in ihrer Stimme ließ den arroganten Sterblichen erschrocken zusammenfahren.
Diesmal war Agamemnons Verbeugung tief und unterwürfig und sehr viel angemessener. »Vergebt mir! Es war nicht meine Absicht, die Königin der Götter zu beleidigen.«
Hera kräuselte die Lippen. »Und dennoch liegt es offenbar in deiner Natur, genau das zu tun. Beherzige meine Warnung, König von Griechenland, deine Arroganz wird dein Untergang sein.« Voller Genugtuung sah sie ihn erbleichen. »Aber deswegen bin ich nicht hier.« Sie bedeutete ihm mit einer eleganten Handbewegung, aufzustehen. »Die Nachricht, die ich dir bringe, hat mit deinem leeren Bett zu tun.« Obwohl Hera sich beim Gedanken an den schlanken Jungen fragte, wie leer das Bett des Königs wirklich war.
»In der Tat, Große Göttin, ich musste meinen Kriegspreis zurückgeben, um die goldenen Zwillinge zu beschwichtigen. Obwohl ich nicht respektlos erscheinen wollte, als ich Chryseis für mich beansprucht habe, schien ihr Vater nicht einverstanden.«
»Chryseis war nicht gut genug für dich. Ein König sollte sich einen Preis nehmen, der seiner würdig ist. Nur Briseis ist schön genug für einen König.« Im Stillen nahm Hera sich vor, der armen Briseis nach diesem ganzen Kriegsdebakel einen Besuch abzustatten und sie dafür zu entschädigen, dass sie das Bett mit diesem prahlerischen Trottel teilen musste.
»Briseis! Sie ist wirklich hübsch, aber sie gehört Achilles.« Auf dem Gesicht des Königs erschien ein listiger Ausdruck. »Doch wie ich höre, ist ihre Schönheit an ihm verschwendet. Achilles jagt Jungfrauen Angst ein.«
Ah , dachte Hera, dann stimmen die Gerüchte über Achilles also. »Und genau deshalb wäre Briseis bei dir viel besser aufgehoben.«
Nachdenklich strich Agamemnon sich über seinen dichten Bart. »Das ist wahr … sehr wahr, aber dennoch hat Achilles …«
»Ist Achilles der König von Griechenland oder Agamemnon?«, unterbrach Hera ihn.
»Ich bin der König!«
»Dann nimm dir die Kriegsbeute, die dir zusteht.«
Agamemnon begegnete dem Blick der Göttin. »Habe ich Euren Segen?«
»Selbstverständlich. Und um Achilles’ wohlbekannten Jähzorn in Schach zu halten, werde ich ihm eine andere Bettgenossin zukommen lassen. Diese neue Kriegsbraut wird nicht so sein wie andere Frauen. Du solltest wissen, dass sie meinen ganz besonderen Segen hat.«
»Ich füge mich Eurem Willen, Große Göttin«, sagte Agamemnon.
»Ausgezeichnet. Dann schicke deine Männer umgehend nach Briseis aus.« Während der König der Griechen in eine tiefe Verbeugung sank, klatschte Hera in die Hände und verschwand in einer glitzernden blauen Rauchwolke.
Thetis knickste respektvoll vor Athene, bevor sie hastig zwei mit Ambrosia gefüllte Kelche und gepolsterte Stühle herbeibeschwor und der grauäugigen Göttin mit einer einladenden Geste bedeutete, sich zu setzen.
»Bitte nehmt doch Platz, Athene. Was für eine unerwartete Freude, Euch zu …« Sie verstummte abrupt, als sie die Blutflecken auf Athenes Kleidung und ihren finsteren Blick bemerkte. »Bei Poseidons Dreizack! Was ist passiert?«
Die Göttin des Krieges machte eine beiläufige Handbewegung in Richtung der Blutflecke, und sie verschwanden. »Das liegt einzig und allein an diesem verfluchten Trojanischen Krieg. Wir haben beschlossen, ihn so bald wie möglich zu beenden.«
Thetis’ schönes Gesicht wurde bleich. »Mein Sohn ist dazu verdammt, im Trojanischen Krieg zu sterben. Wenn der Krieg zu Ende geht, dann wird Achilles nicht mehr lang leben.«
»Genau darüber wollte ich mit Euch
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