Mythica 06 - Goettin des Sieges
glühenden Weinkelch aber nicht los.
»Das ist die Hitze des Lebens«, erklärte Hera. »Schnell, mein Kind, flöße den Wein der Prinzessin und ihrer Dienerin ein!«
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, bückte die junge Priesterin sich, goss die eine Hälfte des Weins über Polyxenas blutbenetzte Lippen und die andere Hälfte in den reglosen Mund ihrer jungen Dienerin.
»Ich bin nicht sicher, ob das funktionieren wird«, meinte Venus mit einem leichten Stirnrunzeln, als ein Großteil des Weins über die blasse Wange der toten Frau rann. »Vielleicht sollten wir …«
Ein leises Ächzen ließ sie innehalten – Polyxena nahm einen tiefen, fast schmerzhaft klingenden Atemzug, und kurz darauf hob sich auch Melias Brust.
»Lasst Euch nicht ablenken«, erinnerte Hera ihre Freundinnen, bevor sie den Zauber beendete.
»Gib ihnen Kraft, schließe ihre Wunden!
Gib ihnen Leben, lasse sie gesunden!«
Vor den Augen der drei Göttinnen und ihrer Priesterin verblasste Polyxenas schreckliche Kopfverletzung und verschwand im selben Moment, in dem auch die klaffende Wunde in Melias Brust zu schimmern begann und sich dann schloss. Vollkommen geheilt lagen die beiden Frauen nebeneinander, doch bis auf ihre langsamen, regelmäßigen Atemzüge blieben sie völlig reglos.
Eleithyia fiel auf die Knie und neigte ehrfurchtsvoll den Kopf. »Es hat funktioniert! Ihr habt sie geheilt.«
Hera berührte sanft die Wange ihrer Priesterin. »Nur ihre Körper, mein Kind. Ihre Seelen sind bereits auf dem Weg in die Elysischen Gefilde. Sie sind nur leere Hüllen.«
»Und zufällig habe ich zwei Seelen, die dringend eine neue Hülle brauchen«, sagte Venus. »Soll ich sie holen?«
»Ja, aber Athene und ich müssen zuerst Agamemnon und Thetis aufsuchen.«
Athene sah mit finsterem Gesicht zu den frisch geheilten Körpern hinüber. »Solltet Ihr nicht erst mal das Blut wegwischen, bevor Ihr die sterblichen Seelen in die Körper führt? Ich bin nun wahrlich keine Expertin, was moderne Sterbliche angeht, aber ich glaube, dieser Anblick würde jede Frau erschüttern.« Sie machte eine Handbewegung, die den ganzen blutbesudelten Tempel miteinschloss.
»Ach, verdammt … so ungern ich es auch zugebe, ich glaube, Ihr habt recht.« Venus stieß ein tiefes Seufzen aus, dann wedelte sie gedankenverloren mit einer Hand durch die Luft. »Geht ruhig und macht Euch keine Sorgen. Ich rufe einfach ein paar Satyre, die sollen sich darum kümmern.«
»Satyre?«, fragte Hera. »Sind diese Kreaturen nicht ganz schön chaotisch?«
»Natürlich – niemand sorgt schneller für Unordnung als ein brünstiger Satyr, und genau deshalb sind sie auch so gut im Aufräumen.«
Hera und Athene schauten sie verwirrt an.
»Ihr dachtet doch nicht etwa, ich würde nach meinen Orgien saubermachen, oder?« Voller Abscheu schüttelte Venus den Kopf. »Ich bin ihre Göttin, nicht ihre Mutter.«
Athene schnaubte.
»Dann überlassen wir das einfach der Liebe«, meinte Hera und führte Athene rasch aus dem Raum, bevor die beiden Göttinnen wieder anfangen konnten zu streiten. »Die kleinen Bestien sollen schnell aufräumen – wir sind bald zurück«, rief sie Venus über die Schulter zu.
»Warum bleibt das ganze Chaos immer an der Liebe hängen?«, murmelte Venus.
»Vielleicht, weil die Liebe auch ziemlich chaotisch sein kann?«, fragte Eleithyia mit einem süßen, unschuldigen Lächeln.
»Du bist offensichtlich noch nicht lang Priesterin, Schätzchen, darum werde ich dich nicht gleich zu Staub zerfallen lassen, weil du mich chaotisch nennst.«
Eleithyia wimmerte leise und sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
Venus seufzte. »Keine Sorge, das war nur ein bisschen göttlicher Humor. Lass uns einfach die Satyre herbeirufen, in Ordnung?« Die Göttin warf einen flüchtigen Blick auf die zwei seelenlosen Körper. »Und ich sollte den beiden wohl besser neue Kleider besorgen. Das viele Blut wird sich bestimmt nicht herauswaschen lassen …« Leise vor sich hinmurmelnd beschwor sie eine ganze Herde von emsigen Satyren in den Tempel und machte sich mit ihnen gemeinsam an die Arbeit.
Hera materialisierte sich im innersten Raum von Agamemnons riesigem Zelt. Bis auf den blonden Jungen, der gerade die dunklen, perfekt gelockten Haare des Königs einölte, waren sie allein.
»Die Göttin Hera!«, rief der Junge, als er sie sah, sank sofort zu Boden und presste sein Gesicht in den dicken Teppich. Agamemnon verbeugte sich nur – und für Heras Geschmack
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