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Mythica 06 - Goettin des Sieges

Mythica 06 - Goettin des Sieges

Titel: Mythica 06 - Goettin des Sieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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in der Nacht einen Besuch abstatten. Er hieß sie immer freudig in seinem Bett willkommen, und sie würde die Ablenkung brauchen, wenn Achilles seine Entscheidung getroffen hatte. Leider kannte sie ihren Sohn zu gut; was das Orakel von Dodona ihm prophezeit hatte, würde sich bewahrheiten. Thetis holte tief Luft und wappnete sich.
    »Achilles!«, rief sie ihren Sohn.
    Er reagierte sofort. Mit einem strahlenden Lächeln wandte er sich ihr zu und verbeugte sich so tief und respektvoll, dass selbst Hera zufrieden gewesen wäre.
    »Mutter, welche Neuigkeiten hatte Zeus’ Orakel für uns?«
    Thetis schwamm zu ihm und streckte ihm eine Hand entgegen. »Solltest du deine Mutter nicht zuerst begrüßen? Kümmerst du dich nur noch um Orakel und Prophezeiungen, mein Sohn?«
    Achilles’ blaue Augen, die dieselbe Farbe hatten wie die türkisfarbenen Meerestiefen, in denen seine Mutter geboren war, glitzerten spitzbübisch. »Vergebt mir, Große Göttin des Meeres!« Er nahm ihre Hand, küsste sie sanft und legte sie auf seinen muskulösen Arm, während er sie aus dem warmen ägäischen Gewässer führte. »Und wie geht es deiner Gesundheit, Mutter? Hat sich in den zwei Tagen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe, etwas daran geändert?«
    Sie drückte seine Schulter, die sich noch härter anfühlte als vor zwei Tagen, als sie in ebendieser Bucht gemeinsam zu Mittag gegessen hatten. »Meiner Gesundheit geht es prächtig, das weißt du doch genau. Und ich bin nur eine niedere Meeresgöttin, keine der Göttlichen Zwölf, also musst du mir nicht derartig schmeicheln. Was du ebenfalls genau weißt.«
    Achilles beugte sich zur ihr herunter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Du bist meine Göttin, Mutter, und göttlicher für mich als all die Zwölf.«
    Statt wie üblich weiter mit ihm zu scherzen, warf Thetis ihrem Sohn einen strengen Blick zu und sagte in scharfem Ton: »Darüber solltest du keine Scherze machen. Wenn das Gerücht entsteht, dass ich einen der zwölf Olympier zu ersetzen versuche, würden die Götter das als entsetzliche Beleidigung auffassen und mich schwer bestrafen.«
    Achilles begriff sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was ist passiert, Mutter?«
    Thetis seufzte und zog ihre Hand zurück. Wortlos ging sie zu einem großen Felsen hinüber, setzte sich und sah zu ihrem Sohn auf. Vor dem Hintergrund des Meeres, im warmen Schein der Sonne, deren goldene Strahlen über seinen jugendlichen Körper tanzten, sah er für einen Moment aus wie eine Statue, wie ein Bildnis, das ein großes Volk vielleicht in ferner Zukunft einmal von ihm errichten würde, um an die Heldentaten eines Kriegers zu erinnern, dessen Leben wie ein Komet aufgeflammt und viel zu bald erloschen war.
    Thetis erschauderte.
    »Mutter?«, fragte Achilles erneut. Er wollte auf sie zugehen, aber sie hob die Hand und hielt ihn zurück.
    »Es ist leichter für mich, wenn du dort stehen bleibst.« Denn nur so würde sie nicht den überwältigenden Drang verspüren, ihn in die Arme zu nehmen wie ein kleines Kind und ihn anzuflehen, vernünftig zu sein … gut zu überlegen … Thetis atmete tief durch. Als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme nüchtern, so, als wäre sie selbst ein Orakel. »Zeus’ Prophezeiung hat dir zwei Auswahlmöglichkeiten offenbart, Achilles.« Sie schloss die Augen, während sie Zeus’ Worte wiedergab: »Der eine Weg führt dich in ein langes, erfülltes Leben. Die Myrmidonen werden unter deiner Führung eine Blütezeit erleben. Du wirst eine fruchtbare Ehefrau haben, die dich liebt und dir viele Söhne und Töchter schenkt. Dein Leben wird glücklich, voller Reichtum und Freude sein, und wenn dein Bart grau ist, wirst du friedlich in deinem Bett sterben, umgeben von deinen Lieben. Sie werden um dich trauern, doch irgendwann wird dein Name in Vergessenheit geraten, ein Körnchen im endlosen Sand der Geschichte.«
    Erneut atmete Thetis tief durch. Ohne die Augen zu öffnen, fuhr sie fort: »Der andere Weg führt dich zu unvorstellbarem Ruhm, der alle anderen Könige und Krieger in den Schatten stellen wird. Du wirst die Myrmidonen in die Schlacht führen, und dein wilder Blutrausch wird alle deine Feinde zu Asche verbrennen. Dein Feuer wird so heiß und mächtig lodern, dass man sich noch Tausende von Jahren nach deinem Tod in Ländern jenseits der Grenzen dieser Welt an deinen Namen erinnern wird. Doch wie ein Feuer, das zu schnell und zu heiß brennt, wirst du verzehrt und keine dreißig Sommer alt werden.

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