Mythor - 034 - Drachenflug
gedrungen, wenn er geahnt hätte, was sich zu dieser Zeit einerseits auf Yarman-Rash und andererseits in der Dhachar-Burg abspielte…
*
Cran Moushart hatte einen langen, wallenden Mantel mit Kapuze übergestreift. Normalerweise trug er diese verhüllende Kleidung, wenn der Frost klirrte und der Schnee kniehoch lag. Jetzt hatte er ihn angelegt, obwohl das Wetter einigermaßen erträglich war. Es gab einen Vorteil, den er als wichtig erachtete. Die Kapuze überschattete sein Gesicht, so dass kaum jemand die gläserne Schicht zu erkennen vermochte, wenn er nicht ziemlich nahe an den Cran herankam. Und Moushart war sehr darauf bedacht, seine Berker etwas auf Abstand zu halten. Der gewohnte Respekt vor ihrem Räuberhauptmann erleichterte es ihm, sie von sich fernzuhalten. Und sollte jemand die Dreistigkeit besitzen, ihn nach dem Grund seiner Vermummung zu fragen, so hatte er eine glaubwürdige Ausrede bereit. Er war erkältet, hatte einen fürchterlichen Schnupfen und brauchte Wärme, und nichts konnte ihn besser wärmen als ein solcher Mantel.
Vorläufig brauchte niemand davon zu wissen, dass er den Dämonenkuss erhalten hatte, dass er von nun an zu den Dienern und Helfern des obersten Caer-Priesters Drudin zählte. Als er an seinen Dämon Dryazituum dachte, lächelte er abfällig. Er wusste jetzt, dass Dryazituums Macht und Stärke nichts waren im Vergleich zur Macht und Stärke Cherzoons. Drudins Dämon war eines der mächtigsten Wesen der Finsternis.
Moushart beabsichtigte, sein gläsernes Gesicht so lange zu verbergen, wie es eben möglich war. Die Salamiter wussten zwar, dass der Berker-Cran sich der Schwarzen Magie verschrieben hatte, aber sie brauchten auch nicht alles zu wissen. Umso größer würde später, nach der Eroberung Salamos’ durch die Caer, die Überraschung sein, wenn ausgerechnet Cran Moushart zu erkennen gab, dass er seit langer Zeit auf der richtigen Seite stand.
Er ahnte nicht einmal, dass er seine Gedanken nicht mehr selbst kontrollierte…
Moushart klatschte in die Hände. Zwei Berker erschienen und verneigten sich unterwürfig. So liebte es der Gran. »Holt die Offiziere zusammen!« befahl er. Offiziere nannte er seine Unterhauptmänner, obwohl sie wenig mit ehrenhaften Soldaten zu tun hatten, sondern lediglich dazu geeignet waren, eine Horde von Räubern zu kommandieren.
Es dauerte nicht lange, und die Unterführer trafen vor seinem Haus ein.
»Ich habe eine Überraschung für euch«, behauptete Moushart. »Es wird reiche Beute geben.«
Schweigend und erwartungsvoll sahen sie ihn an. Da ließ er die Katze aus dem Sack. »Wir greifen Yarman-Rash an«, sagte er.
*
Ein dumpfes Grollen und Rumpeln ertönte.
»Was ist das?« fragte jemand erschrocken.
Der Weinkrug auf dem hölzernen Tisch tanzte und ließ seinen Inhalt überschwappen. Alles erzitterte. Von einem niedrigen Schrank fiel eine tönerne Figur und zerbrach auf dem Boden.
»Ein Erdbeben?«
»Unsinn! Wie sollte es hier in der Steppe ein Erdbeben geben? Und die Vulkane sind weit.«
»Der Wille der Götter ist unergründlich. Vielleicht haben wir zu sündig gelebt und…«
Abermals erzitterte alles. Wie von Geisterhand aufgerissen öffnete sich eine Tür und zerbrach. Mörtel platzte aus den Steinfugen. Hätte der Hausherr den Weinkrug nicht gedankenschnell ergriffen, so wäre er durch die Erschütterungen von der Tischkante gefallen, nachdem er bis zum Rand gerutscht war. Der Schurkete starrte entgeistert auf die zerbrochene Tür. »Doch ein Erdbeben!« stieß er hervor. »Schnell, hinaus mit euch allen!«
Frau und Kinder eilten hinaus. Der Mann folgte. Und wieder erzitterte der Boden der Speicherburg. Etwas Unfassbares geschah mit Yarman-Rash.
*
Während in anderen schurketischen Stammessiedlungen andere Boten Achads die Schurketen aufforderten, ihre Kampfkraft zur Verteidigung der Burg zur Verfügung zu stellen, wagte es in der Speicherburg der Berker wahrhaftig ein Mann, Kritik zu üben.
»Die Schurketen!« schrie er. »Du bist irre, Cran! Yarman-Rash ist uneinnehmbar! Wir werden uns blutige Köpfe holen, das ist alles! Wenn die Beute, die du uns versprichst, in Yarman-Rash verborgen ist, so werden wir sie nicht lebend erreichen!«
Moushart reckte sich, doch nicht so weit, dass die Kapuze sein gläsernes Gesicht enthüllte. »Ich will darauf verzichten, dich bestrafen zu lassen, weil du aus Unwissenheit plärrst«, sagte er schroff. »Und ich will mich dazu herablassen, euch allen die Gründe für meine
Weitere Kostenlose Bücher