Mythor - 075 - Der Tod der Lumenia
sie im Stadtkerker sind, werden wir sie finden. Wer kommt mit?«
Scida und der Beuteldrache erhoben sich gleichzeitig, suchten ihre Hütten auf und kehrten bewaffnet wieder zurück. Auch Mythor holte Alton und hüllte sich in seinen wallenden Mantel, den der geflügelte Löwe zierte, das Wappen der Heimat Scidas.
»Kommt!«
*
Lissanta erholte sich von den Entbehrungen ihrer Seefahrt rascher, als sie selbst angenommen hatte. Gegen Abend war sie schon wieder soweit, daß sie ohne Hilfe ihre Kleidung und ihre Rüstung anlegen konnte.
Es war möglich, daß Honga in die Stadt kam. Er würde nicht mit ihrer Anwesenheit rechnen, weil er sie für auf Ascilaia zurückgeblieben hielt. Das gab ihr vielleicht einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.
Dennoch wägte sie genau ab. Es konnte ein Fehler sein, jetzt schon in Erscheinung zu treten. War es nicht besser, Taufion sofort wieder zu verlassen. Ein Boot, das sie nach Maskin-Ebrin, der nächsten Insel der Kette, brachte, würde sich wohl finden, und dort konnte sie Hanquons Ankunft abwarten und ihre Fäden spinnen.
Sie beschloß, abzuwarten und nach Lage der Dinge zu handeln. Als ihre Pflegerin wieder erschien, überraschte Lissanta sie mit ihrem Vorhaben, sich in der Stadt ein wenig umzusehen.
»Überschätze deine Kräfte nicht, Lissanta«, glaubte die Schwarzhaarige sie warnen zu müssen. Doch Lissanta wehrte ab. »Ich suche nicht den Kampf, sondern die Ruhe, und ich suche Wissen.«
»Über Hanquon? Die Lichtblume bleibt zwei Tage hier!«
Lissanta zeigte das Lächeln einer Kobra. »Was ich zu wissen begehre, kannst du mir nie verraten… ich denke, ich werde einen Spaziergang durch die nächstliegende Stadt machen.«
Sie ließ sich nicht aufhalten.
Und es war reiner Zufall, daß sie Zeugin einer Auseinandersetzung wurde. In einer Schänke klirrten die Schwerter, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite in den Schatten stehend, erkannte Lissanta die Kriegerinnen wieder, die von den Ordnungskräften abgeführt wurden. Sie sah auch Kalisse als einzige entweichen.
Wie diese, schnappte auch Lissanta Wortfetzen auf und erfuhr, worum es ging. Sie lächelte in der Dunkelheit.
Wie sie die anderen kannte, würden sie nicht zulassen wollen, daß ihre Gefährtinnen im Kerker von Maui schmachteten. Es würde einen Befreiungsversuch geben, und höchstwahrscheinlich noch in dieser Nacht. So bald würde nämlich keine der Maui-Wächterinnen damit rechnen. Nur Lissanta, weil sie ihr Wild kannte.
Ihr Entschluß war schnell gefaßt.
Sie würde ihnen auflauern. Sie konnten höchstens zu viert kommen, würden sich aufteilen müssen. Ein rascher Schlag, und Hongas Kopf würde ihr entgegenrollen.
Sie bezog ihre Stellung in den Schatten und wartete ab. Stark genug fühlte sie sich längst wieder.
*
Geräuschlos bewegten sie sich durch die Nacht – fast geräuschlos wenigstens. Da war stets nur ein leises, schleifendes Geräusch, das den dreien beharrlich folgte, bis Mythor im Mondlicht endlich erkannte, was es war Gerreks Schwanz, den der Beuteldrache hinter sich her schleifte.
»Kannst du deinen Rattenschwanz nicht anheben?« flüsterte Mythor grimmig. Doch der bereits genossene Wein hatte anscheinend die Schwanzmuskeln betäubt; Gerrek konnte nicht. Das Geräusch blieb. Immerhin war es so schwach, daß es kaum jemandem auffallen würde.
Von einer Hanquonerin, die bei Tage und maskiert in Maui gewesen war, hatten sie sich erklären lassen, wo in der Stadt sich das Gefängnis befand. Es handelte sich um ein recht wehrhaftes, turmartiges Gemäuer. Doch wie gut es in der Nacht bewacht war, hatte die Frau nicht sagen können.
Sie mußten sich also notgedrungen überraschen lassen. Sie folgten dem Weg, der ihnen beschrieben worden war, und bewegten sich durch eine schlafende Stadt. Zu dieser Nachtzeit war kaum noch jemand unterwegs; nur hier und da wankte eine trunkene Amazone heimwärts. In den meisten Schänken war es sehr still geworden, denn auch die ausdauerndste Wirtin will einmal die letzten heilgebliebenen Stühle hochrücken und dem »Männchen für alles« den Reiserbesen zum Auskehren in die Hand drücken.
Am Himmel funkelten die Sterne.
Plötzlich brach Gerrek in wütendes Schimpfen aus. Mythor und Scida fuhren herum. Die Amazone hielt Gerrek die Schwertspitze vor die Nase. Gerreks sämtliche Barthaare begannen zu zittern, aber er dämpfte seine Stimme dann doch.
»Was ist los?« wollte Scida wütend wissen.
Der Beuteldrache bückte sich, drehte sich um die
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