Mythor - 075 - Der Tod der Lumenia
Grunde auch war, so wenig konnten die drei diese Kriegerinnen jetzt in ihrer Nähe gebrauchen, und sie rannten, was das Zeug hielt. Ihre Absicht, Kalisses Amazonen und die Hexe Noraele zu befreien, konnten sie getrost vergessen, wenn sie nicht noch in dieser Nacht mit ihnen den Kerker teilen wollten.
Sie schafften es knapp, den Hafen zu erreichen und mit dem Blatt zur Schwimmenden Stadt überzusetzen. Mit kleinen Booten folgten die Kriegerinnen ihnen, kehrten aber um, als sie sahen, daß sie die Verfolgten nicht mehr rechtzeitig erreichen würden. Sie schienen zu wissen, daß ihre Macht an den Grenzen Hanquons endete. Dort galt nur das Gesetz der Schwimmenden Stadt.
Am nächsten Morgen ließ Salmei Scida zu sich rufen. Als die alte Amazone, die nach außen hin als Anführerin ihrer Gruppe galt, zurückkehrte, machte sie ein finsteres Gesicht.
»Man hat sich beschwert«, berichtete sie. »Die Erste Bürgerin hat mir gehörig den Kopf gewaschen. Man verlangte unsere Auslieferung und beschrieb uns äußerst genau: mich, dich, Honga, und den Beuteldrachen. Salmei verweigerte die Auslieferung erfreulicherweise, aber Hanquon wird sofort ablegen und wieder auf Reisen gehen. Salmei warnte uns; beim nächsten Zwischenfall werde sie uns über Bord werfen lassen.«
Mythor preßte die Lippen zusammen und sah zum Himmel. Es war noch früh, und sie waren unmaskiert, aber der Tag brach an. Hätte Salmei mit ihrer Entscheidung nicht etwas warten können? überlegte der Gorganer. Maskiert wäre es den Maui-Amazonen mehr als schwer geworden, die vermeintlichen Übeltäter zu entdecken.
»Und meine Kriegerinnen? Und was wird mit der Hexe?« fauchte Kalisse erbost und hob ihre Eisenfaust. »Ich werde Salmei zeigen, was es heißt…«
»Du wirst nichts tun«, unterbrach Scida sie. »Du wirst froh sein, daß es uns nicht an den Kragen geht. Deine beiden Amazonen und Noraele müssen vorerst hier zurückbleiben, es gibt keine andere Möglichkeit. Siehst du nicht? Die Lumenia bewegt sich. Sie legt bereits ab! Vielleicht gibt es irgendwann später ein Wiedersehen.«
»Vielleicht aber auch nicht«, unkte Kalisse. »Die taufionischen Weiber werden wissen, daß wir und die drei zusammengehören und sich an ihnen schadlos halten.«
»Und wenn es so wäre«, schrie Scida, »könnten wir es dennoch nicht verhindern! Geh, verkleide dich! Es wird hell!«
Sie stampfte davon und ließ eine wutschäumende Kalisse zurück.
»Salmei«, keuchte Kalisse. »Ich könnte sie umbringen dafür!«
Aber es war eine leere Drohung. Das Gesetz Hanquons stand gegen sie.
6.
An der Stirn des großen, gasgefüllten Ballons prangte das Zeichen der Zirri, die lodernde Flamme, und das Luftschiff jagte mit hoher Geschwindigkeit dahin. Starren Gesichts stand die Zaubermutter an den Stangen und Zugseilen, mit denen die Steuerflügel ihres Luftschiffs sich bewegen ließen.
Jede Windbewegung wurde ausgenutzt, und das Luftschiff jagte gen Süden.
In einem Winkel im Innern der mit Drachenhaut bespannten Gondel kauerte ein kleiner, grünhäutiger Mann und starrte abwechselnd die Zaubermutter und ein seltsam geformtes Gefäß an. Das Antlitz der Zaubermutter war von Nebelschleiern verhüllt, die sich in ständiger Bewegung befanden und nur hin und wieder das Blitzen ihrer Augen zeigten, aber die Regungen ihres Gesichts nicht verrieten. Vergeblich fragte der Grünhäutige sich, welche Gefühle Zirri beherrschten.
Und da war das über zwei Fuß große, bauchige Gefäß aus blitzenden Kristallen, dessen drei Hälse magisch verschlossen waren. Was war der Zweck dieser Hermexe? Wozu wurde sie gebraucht?
Der Grüne wußte es nicht. Er konnte nur Vermutungen anstellen. Vermutungen darüber, was Zirri mit der Hermexe beabsichtigte. Vermutungen darüber, aus welchem Grund sie ihn mit sich genommen hatte.
Und er konnte nur ahnen, was das Ziel des rasend schnell dahinjagenden Luftschiffs war.
Der HEXENSTERN!
7.
Wieder vergingen die Tage. Die Schwimmende Stadt setzte ihren Weg fort. Maskin-Ebrin wurde angelaufen, dann Husvard und schließlich Ibrillan. Einmal kam es noch zu einem Zwischenfall, doch der alles entscheidende Angriff, auf den Mythor und seine Gefährten warteten, blieb aus. Gerade das überraschte sie mehr als alles andere.
Ibrillan war die letzte Insel dieser Kette südlich Naudrons, und als Hanquon auch sie hinter sich gebracht hatte, war die Blumenschau vorüber. Die Schwimmende Stadt wandte sich gen Süden und nahm Kurs auf das offene Meer
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